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Die Ordnung der Offenheit

Manfred de la Motte, 2000

Die Ordnung der Offenheit

Sardegna, 1995

I. Gegenwart

Erfüllt mich der Blick auf den Kalender – oder auf die Uhr – mit Stolz? Da bin ich doch tatsächlich jetzt ein Mensch des 21. Jahrhunderts!
Was wir alles hinter uns gebracht und also geschafft haben! Und ging das alles Stufe um Stufe oder Treppe für Treppe von niederen Etagen zu höheren, besseren, moderneren, deren man sich nicht zu schämen braucht? Und kommt es gar noch besser, wenn wir weiter klimmen?

Wohl kaum.

Aktualität ist keine Frage des Datums. Nasse Bilder sind nicht besser als durchgetrocknete – und die von Film, Funk und Bühne nicht schöner als die verstaubten im Eck. Aber umgekehrt natürlich auch: „Zurückgebliebenes“ wird nicht allein deshalb schon zum Tresor der Kunstgeschichte, weil es eben nie auf Tournee ging.

Wenn aber Nachdenklichkeit sich mit Neugier paart, und Wissen sich mit Schau-Lust, dann entsteht ein gegenwärtiges Bewusstsein von hohen Graden und ziemlicher Verantwortung.

Wo ist denn das Neue, wenn nicht in unserem mit Augen bestückten Kopf? Die Köstlichkeit unserer Bestürzung!

Zu viele wissen heute, wo’s lang geht. Informationen sind wohlfeil. Reicht ein Pixelchen Video und ein Quäntchen Installation, um von heute zu sein? Ist das schon Gegenwart? Manchmal könnte man es glauben, wenn nicht immer wieder – wie zu allen Zeiten – Künstler dabei wären, die Wahrheit ins Werk zu setzen und die Aufrichtigkeit in mündige Werke zu verwandeln – die Betroffenheit auslösen und nicht Applaus.

Nur was uns angeht, betrifft uns, macht uns betroffen. Und in unser Leben vermag nur zu treten, was einem Künstler-Leben sich verdankt, einem Bewusstsein von intelligenter Kreativität.

Markus Prachensky 1961 in seinem Manifest der Malerei: „Retournons la peinture“:
„Die maximale persönliche Beteiligung am Entstehen eines Kunstwerkes ist nach wie vor unerlässlicher Bestandteil der Kreation“

II. Rückblicke

Nun ist gut rückblicken; nun, 40 Jahre später, wo Markus Prachensky wiederum – und wie immer – ausrufen könnte: “retournons la peinture”. Nur, was heisst da „retour“ für ihn, einen Künstler, der vom tugendhaften Pfad der Malerei nie abgewichen ist, obwohl er stets dies Medium in aller Breite erkundet hat.

Jedes wichtige neue Bild ist eine Lektion in Kunstgeschichte und beleuchtet unterschiedlich, was gewesen ist.

Nur die pure Chronologie, die nur zeitliche Abfolge der einzelnen Werkgruppen, die bedeutet da nicht viel, ausser: erst ist dieses passiert, dann jenes.

Bedeutet nicht sehr schön ein „California revisited“ von 2001, dass man beachten sollte, warum denn Kalifornien wieder einmal als Maler besucht werden musste, um „red – white, Los Angeles II“ von 1969 nicht nur herzlich zu grüssen, sondern auch, um ihm zu zeigen, was daraus geworden ist und wozu die damals überraschende Verfestigung von Nutzen war: die Auflösung von fester Gesamtform zu emanzipierten Einzelformationen, die allerdings das Gesamt des Bildgevierts nicht minder deutlich bestimmen, ja im Griff haben, als es damals in Kalifornien möglich war.

Zählt aber, was dazwischen war, nun nicht mehr? Oh doch, Schicksal addiert sich aus unzählbaren Einzelteilen, mögen sie sich nun Ereignis für Ereignis zusammenfügen – oder aber sprunghaft sich erst allmählich und im Nachhinein zu einer Entwicklung zusammenreimen.

Wie schön passen jetzt die Los Angeles – Bilder (mit den „Zähnen“) von 1967 zum Rechberg (1966) oder gar zur Solitude (1965)!

Wenn wir eine Trans-Pazifik-Reise nicht scheuen, dann ist das wiederbesuchte Kalifornien schon in Bali (1998) oder – viel näher – in Sardinien (1995) durchaus beheimatet, wenn man nicht sogar den Anfang in der Wiener Liechtensteinstrasse (1957) oder in Gainfarn (1958) sehen möchte.

Wie schön, eine Geschichte, die kein Nacheinander mag, es jedenfalls als Kriterium für künstlerischen Werdegang nicht anerkennt!

Welch herrliche Logik, die Sprünge liebt – und also grosse zu machen imstande ist. Die Souveränität emanzipierter Pinsel.

Man begebe sich lustvoll ins Chaos: versuchen Sie doch einmal eine Ordnung (oder zumindest eine Verständnis-Struktur) zu erreichen, indem Sie sich nicht an Jahreszahlen orientieren, sondern an Orten (zumeist im Bildtitel ausgedrückt); was für erstaunliche Reisemöglichkeiten ergeben sich da: in Wien, in Österreich, in Europa, in der Welt….
Und ergänzen Sie das geographische Gefüge durch Musikalisches und Literarisches, dann entsteht ein ganz anderes Weltbild, als das der Atelier-Abfolge.

So begegnen sich Gestimmtheiten und Haltungen, verschieden über Jahre und Jahrzehnte – und doch verwandter als die Zeitabläufe es üblicherweise darzustellen vermöchten. Erlebniszeit versus TIC – TAC.

Orte und Standpunkte, intensiv – ohne Zeit, zeitunabhängig, gar zeitlos.

III. Augenzeuge

Was aber wird gemalt? Die Realität? Die Natur? Die Wirklichkeit? Das Wirksame der Wirklichkeit? Oder: das Geträumte, das Befürchtete, das Ersehnte? Das pikturale Utopia? Oder wird gar nur gemalt um des Malens willen: Aktion, Gestik, Psychogramm? Ist „Abstraktes“ der Sinn, „Abstrahiertes“ der Inhalt? Wird der imaginäre Zweikampf ausgetragen zwischen „Gegenständlich“ und „Ungegenständlich“?

Markus Prachensky hat es 1976 in Wien so formuliert:

Ist ungegenständlich abstrakt ?

Es gibt keinen Maler, der nicht – im vollen Bewusstsein oder unwillentlich – sein imaginäres Museum mit sich herumschleppt.
Erweitern möchte ich den Begriff „imaginäres Museum“ um das, was sich dem sehenden und wertenden Menschen ausser den ihn persönlich seit seiner Jugend beeindruckenden (und wohl auch beeinflussenden) Bildern noch an Erkenntnissen, Landschaften, Situationen, Büchern, Menschen, Meeren, Philosophien, Stimmungen, Kontinenten, Kontrasten, Konzeptionen, Qualen, Quellen,Tönen, Märchen, Träumen, Schreien, Berührungen, Kriegen, Blicken, Lieben, Kosmen, Hügeln, Ebenen, Schrecken, Lacken, Flecken, Freuden tief eingegraben hat.
Dies alles, mühsam durch die Ratio geordnet – zugleich triumphierend getrieben und geängstigt gebremst – ergibt das Bild.
Ist ungegenständlich abstrakt ?
Also wäre es für berufene Kunstwissenschaftler durchaus an der Zeit, Markus Prachenskys Bilder einmal alle ikonographisch zu untersuchen. Wenn man mit Panofsky begänne, Gombrich zu Rate zöge – wohin gelangte man da wohl? Und was böte sich da nicht zum Vergleich an? Ich wage nur eine winzige Andeutung, ein Lieblingsbild von Markus Prachensky betreffend, das er so oft als möglich in London „besucht“.

Da begab sich vor 600 Jahren in der Gestalt von Jan van Eyck
(1390? – 1441) Erstaunliches. Ich meine nicht seine Technik, den Beginn der Ölmalerei. Ich denke auch nicht – rein kunsthistorisch – an die Opferung des „weichen Stiles“ (wie auch bei Masaccio), ich sehe da eher die bis dahin unerhörte und nie gesehene Präzision, mit der van Eyck sich der Wirklichkeit stellt. Da gibt es keinen Hintergrund, der nur dekoratives Versatzstück wäre: ein Baum ist dieser Baum und ein Apfel ist genau jener Apfel – und nicht irgendeiner; da ist wirkliche Landschaft und nicht nur Tapisserie.

Das Verlöbnis der Arnolfini (1434) ist prall von Wirklichkeit, die ein Fotograf nie darstellen könnte. Ja, der Maler spiegelt sich sogar (mit einem Zeugen) im Bild: er war da! Dieses Bild begibt sich in Gefahr. Es zeigt so viel Realität, dass diese ins Imaginäre aufzusteigen geradezu gezwungen ist. Die Surrealisten klatschen Beifall – und das Hündchen ist ganz stolz.

Und um alles auf die Nuller-Pinsel-Spitze zu treiben: Jan van Eyck signiert nicht oder markiert irgendwo, dass er’s gemalt hat, er schreibt über den Spiegel an die Wand „Johannes de Eyck fuit hic“ – der Maler war hier!

Welch eine Mühsal im Bilderverfertigen! Einzelheit + Einzelheit = sichtbare Welt, zu sehen gegeben. Und mögen noch so gute Lehrlinge in der Werkstatt gewesen sein: welche Geduld waltet da, „bloss“ um die Situation eines Ortes über Jahrhunderte zu transportieren. Wen interessiert da Zeit, Zeitgefühl, gar Zeitgeist!. Der Apfel auf der Fensterbank würde runzeln, das strubbelige Hündchen sich schütteln – und die einzige Kerze im Kronleuchter ausgehen.

IV. Stille

Da war eine grosse Stille. Und die bewahrte sich und enthielt alle nur denkbare Langsamkeit im Tönen. Und nichts begab sich – aber es war da. Ruhe.

Und derlei malt Markus Prachensky. Er verfügt sich an Orte und in Gegenden, die ihn faszinieren. Vielleicht hat er zunächst davon geträumt, dann darüber gelesen oder auch gehört. Er sammelte Informationen und heimste Wissen darüber ein. Dann organisierte man alles und reiste hin; mehrfach um die Welt – ohne Kamera, ohne Film- und Videogeräte, ja auch ohne Tagebuch.

Am „richtigen“ Ort bleibt er so lange wie nötig, um Bilder und Atmosphäre sich zu eigen zu machen. Dazu braucht er weder Notizen noch Schnappschüsse.

Was ist der „richtige“ Ort?

Früher gab er seinen Bildern als Titel den Ort ihrer Entstehung. Er malte, was zu malen ihm notwendig war, da, wo er sich gerade aufhielt. So spiegeln diese Bilder nicht unbedingt den jeweiligen „genius loci“.
„Berlin“, „Wiesbaden“ oder „Aschaffenburg“ sind Bilder, die dort gemalt worden sind – sie zeigen keinerlei Stadtansichten.

Das ändert sich in den siebziger Jahren, wo er Reisen unternimmt, nicht um irgendwo behaust zu sein, sondern den Ort, die Gegend, die Landschaft, das Licht, die Geschichte und die Stimmung aufzusaugen – auf dass Bilder entstehen möchten.

Mit Italien – vor allem der Süden – begann es und die jüngsten Bilder sind eben das wiederbesuchte Kalifornien. Dazwischen liegt die halbe Welt. Wo, wenn nicht eben dort, könnten Bilder zu entstehen beginnen, die Sardinien, Bali, Korsika, Hong Kong oder Luxor sind.

Viel Kulturgeschichte mag man da herauslesen oder -sehen. Denn es sind nie Momentaufnahmen augenblicklicher Befindlichkeit. Zurückgekehrt malt er im Atelier keine Reisetagebücher mit biographischer Präzision: Monat, Tag, Uhrzeit … Da herrscht kein Getöse und Gedränge, mag es dort auch noch so turbulent zugegangen sein.

Da ist eine grosse Stille. Der Maler nimmt sich und sein situationistisches Gefühl zurück. Gelassenheit, die in End-Gültigkeit überzugehen scheint. Er beweist nicht, dass er’s gemalt hat, sondern dass er da und darin war, so wie es Jan van Eyck realisiert hat. Überall schimmert mit aller Konsequenz durch: „Markus Prachensky fuit hic“.

V. Stendhal

Die lustvollen Reisen von heute haben ihre kunsthistorische Geschichte. 1957 zeigte die Wiener Secession eine grosse Ausstellung der Bilder von Markus Prachensky. Der ist gerade fünfundzwanzig Jahre alt.

Der berühmte Pariser Kunsttheoretiker Pierre Guéguen sieht diese Schau, ist beeindruckt und veröffentlicht in der Pariser Kunstzeitschrift „Art d’aujourd’hui“, Nr. 14/1957 einen Essay „Le Rouge et le Noir – ou Stendhal tachiste“, in dem er Markus Prachensky Hans Hartung gegenüberstellt. Hans Hartung, geboren 1904, also fast 30 Jahre älter, stellte damals in den Galerien de France, Craven und La Hune aus, hatte gerade den Guggenheim-Preis gewonnen und war ein weltberühmter Mann. Prachensky war einige Monate in Paris und hatte es bis zu einer Beteiligung an einer Gruppenausstellung in der Galerie Arnaud gebracht. Immerhin.

Natürlich ist im literarisch bewussten Frankreich jede Anspielung an Stendhal und seinen berühmten Roman „Rot und Schwarz“ Aufmerksamkeit erregend. Aber Stendhal „tachiste“? Guéguen rechnet mit figurativer Malerei ab, sie spräche zu oft von zu viel – nur nicht von Malerei. Und die abstrakt-geometrische Malerei hülle sich in Schweigen, sei zu einem vertrockneten und knöchernen Purismus abgesackt.

Die abstrakt-tachistische Malerei hingegen erinnere an die Stille ihrer Herkunft und zugleich an das ungestüme Auftauchen konkreter Vorstellungen. „Der Pinsel soll seine chaotische Seite deutlich machen, und wenn schon nicht die Zähne, so doch wenigstens die Borsten zeigen“.

Über Hartung schreibt er, dass er sich vom Geometrismus abgesetzt habe, dafür aber den Pinselstrich, den Geist der Zeichnung (ohne Zieh-Linie), also die Kunst der Intelligenz kultiviert habe.

Dem stellt er gegenüber:

„Der Stil von Prachensky ist ganz anders. Sein „tache“ lässt einen an die überschwemmten Halbinseln des Rimbaudschen „Bateau Ivre“ denken. Von links horizontal zurückgekehrt, an der Stelle der Karte, wo eine Fast-Insel sehr zerschnitten und zerklüftet ist, da wird sein „tache“ zu einer blutenden Gruppe, triefend von einheitlichem Rot. Von der rechten Seite gesehen hat die Gruppe sich betrinken und schlagen müssen. Bildnerisch ist sie in höchster Bewegtheit“.

Und zum Schluss, nach einigen Seitenhieben auf den Pariser Kunstbetrieb, schreibt Guéguen:

„Es bedarf jenes Bewusstseins von Unendlichkeit, das im Begriff ist, die kühnsten Unternehmungen von heute transzendent zu machen“.

Kaum ein (relativ kurzer) Aufsatz in einer Kunstzeitschrift hat Markus Prachensky mehr genützt, nicht nur in Paris. Man wurde neugierig, schämte sich, weil man noch nie von ihm gehört, nichts gesehen hatte. Das sollte sich bald ändern.

VI. Offenheit

Das 20. Jahrhundert war reich wie kaum eines zuvor an Bildverfertigungs-Techniken und Materialien, auch bot es eine Vielzahl von Kompositions-Schemata, auch innerhalb von „Stilen“ oder Künstlergruppen, die man ansonsten gern in einen Hut zu werfen pflegte.

Gibt es da Haltbarkeiten von längerer oder Verfallsdaten von kürzerer Frist? Einige Prinzipien – nicht Maschen – haben die Zeitläufte überdauert. Da ist vor allem der Begriff der „offenen Form“, ursprünglich seit den fünfziger Jahren von E-Musikern verwendet – als Postulat.

Er meint die Abkehr von strengen Reglements einer bestimmten musikalischen Schule mit ihren klaren Kompositions-Grundsätzen. Da wird gewürfelt statt getüftelt, alle bisher gültigen Parameter sind über den Haufen geworfen und ein Ergebnis wird durch Spielanweisungen erzielt. Immerhin war John Cage, damals, 1932 in Los Angeles, ein legitimer Student bei Arnold Schoenberg gewesen. Eine feste, nach strengen Regeln erstellte Komposition lässt sich auch dann noch klar erkennen, wenn man nur ein kleines Stück davon hört oder notiert sieht. Die „offene Form“ lässt aber keine Rückschlüsse auf’s Gesamte zu, wenn man nur Einzelteilchen addiert. Erst das Gesamte ist das Ganze – und nicht dessen Projektion.

Die Maler taten sich theoretisch immer schwerer mit ihren Verfahren.
Prachensky hat früh auf den Partitur-Charakter eines Bildes Wert gelegt. Das will als Ganzes erlebt, wenn auch im Detail „gelesen“ werden.
Dazu hebt er die Trennung von Material und dessen Artikulation auf. Er sammelt nicht vielleicht später Brauchbares im Atelier und fügt es dann nach festem Plan zusammen.

Im Gegenteil, jedes materielle Material ist ihm zuwider. Keine dicken Pasten, keine Einklebungen, keine Tuben-Schönheit! (Man denke nur an den schier endlosen Streit in Paris zwischen den „Dick“- und den „Dünn-Malern“). Die Farbe und ihr fast lasierender Auftrag bestimmt die „Form“.
Die Schnelligkeit des Mal-Vollzuges (oder auch die Langsamkeit!) sollten indes nicht mit Kalligraphie verwechselt werden. Denn „geschrieben“ wird da nichts – welcher Text und in welcher Schrift denn wohl auch? Die Form ist Ergebnis des Tuns und nicht dessen Konzept. Die fast flüssige Farbe stabilisiert sich im Bild. Alles ist offen und sozusagen „im Fluss“, aber „Form“ ist es erst, wenn diese als solche erlebt und gesehen wird. Hier realisiert sich ein Wunschtraum vieler Komponisten: Materialstruktur und Werkstruktur sind identisch. Ein Verfahren, das weitreichend ist – und konsequent – wie man sehen kann.

VII. Ordnung

Wenn einer etwas brillant hinhaut ist er ein Virtuose von gewaltigem Können – wenn auch ohne Kreativität. Schöpfer sind nicht virtuos; virtuos sind bloss Interpreten.

Ich setze Misstrauen ins Können, habe Angst vor eilfertiger Geläufigkeit, die allen Problemen geschickt davon rennt. Das gekonnt Beliebige ist der Feind von Aufrichtigkeit.

Künstler müssen, noch ehe sie sich das Werkzeug zurüsten, vor allem ihren Kopf aufräumen. Weg mit den schludrigen Träumen, fort mit den unausgegorenen Meisterwerk-Utopien, die dann doch eher vermickert ins Bild treten, mühselig zu gerade noch Erträglichem zurechtgefummelt.

Wie erzielt man Festigkeit und dezidierte Entschiedenheit? Wie gelangt man zu Klarheit? Wie überlistet man den kurzatmigen Einfall? Indem man sich nicht auf das verlässt was man kann. Relevante Künstler sortieren sorgfältig ihre Vorgehensweisen. Da ist vor allem die Achtung vor der Leere und der Stille der Bildfläche. Th. W. Adorno formulierte es so:
„Mündige Musik schöpft Verdacht gegen alles real Erklingende schlechthin“. Dann mag der Einsatz der Person beginnen – nicht der Rezepte.

Ich habe immer bedauert, dass die „geometrischen“ (?) Bilder von Markus Prachensky so früh sich begeben haben, 1953 – 1955. Sie gelten als Frühwerke, als Vorläufer – ich aber hätte sie gerne „später“ oder „dazwischen“. Wären einige Federzeichnungen dieser Zeit nicht köstlich neben einem Hongkong Bild (2000)? Und würde man nicht staunen, wenn eine Gouache von 1953 (grau, blau, braun) neben einem Etruria-Blues (1982) hinge?

Warum sollte ein Künstler nicht rationell sein können, also rational zu Werke gehen? Dazu bedarf es einer Hierarchie des Notwendigen und seiner Reihenfolge.

Am Anfang steht Ordnung, ja ich schrecke nicht vor diesem altmo-dischen und gänzlich unkünstlerischen Wort zurück. Ordnung als stabilisierendes Netzwerk, das Halt bietet (und Sicherheit) im Sturm der Freiheiten, die unerlässlich sind.

Ordnung heisst Sauberkeit des Denkens – ohne dies kommt kein Pinselhieb aus, will er nicht zur Panscherei entarten. Auf vielen Bildern von Markus Prachensky könnte als Titel stehen: „Die Ordnung der Offenheit“.

Manfred de la Motte, 2000