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Revolutionsetüden am laufenden Band

Franz Smola, 2001

“Rot ist eine Farbe des pulsenden Lebens, der feurigen Bewegtheit, ein Anzeichen des schäumenden Flusses von inneren Ereignissen, eine explosive Farbe, die Gefahr aus der Rasanz der Lebensvorgänge signalisiert”.

Rouge sur noir – Sebastianplatz, 1958

So lautet Otto Mauers expressive Interpretation und zugleich Rechtfertigung für eine Ausstellung, in der ausschließlich Bilder mit dem gleichen Rotton und einer Beschränkung auf ungegenständliche Gestik zu sehen waren. Trivialer drückte dies der Kunstkritiker im Headline seines Artikels aus: “In der Galerie 59 sah man plötzlich nur noch Rot” (P. Espe im Main-Echo, Aschaffenburg, vom 23.Mai 1960). Der Schöpfer solcher Werke musste wohl ein selbstbewusster, der Konfrontation nicht abgeneigter Charakter sein und hatte kaum Anlass, von der öffentlichen Meinung Schonung und Wohlwollen zu erwarten. Im folgenden soll die Reaktion der Medien, vor allem der Zeitungen und ihre Rolle als öffentliche Meinungsbildner im Zusammenhang mit den frühen Ausstellungen von Markus Prachensky näher beleuchtet werden.

Herkunft – Wilhelm Nicolaus Prachensky

Markus Prachensky wurde am 31.März 1932 in Innsbruck geboren. Sein Vater war Maler und freischaffender Architekt. Durch den Großvater väterlicherseits, Josef Prachensky, gab es in der Familie eine starke sozialdemokratische Tradition. Er stammte aus Leitmeritz in Böhmen, war als Zeitungsredakteur und Verlagsleiter tätig und spielte eine wichtige Rolle für den Aufbau der Sozialdemokratischen Partei Tirols. Die Mutter von Markus Prachensky, Henriette Prachensky, geborene Hnidy, war in Wien geboren. Prachenskys Großvater mütterlicherseits war Offizier der K. u. K. Armee und unter anderem in Pola, Cattaro und Trient stationiert, bevor es ihn nach dem Zerfall der Monarchie nach Innsbruck verschlug. Er stammte selber aus einer Offiziersfamilie, deren Wurzeln nach Mailand, Florenz und in die Bukowina zurück reichten.

Markus Prachenskys Vater war der in Innsbruck geborene bekannte Maler und Architekt Wilhelm Nicolaus Prachensky (1898 – 1956). Er war eine ausgesprochene Doppelbegabung. Er begann mit dem Architekturstudium an der Innsbrucker Staatsgewerbeschule, wechselte bald in die Malerabteilung und studierte schließlich Malerei an der Münchner Akademie. Neben der kontinuierlichen Beschäftigung mit Malerei war Wilhelm Nikolaus Prachensky ab 1924 zugleich als Architekt tätig. Vor allem in den dreißiger Jahren entstanden im Innsbrucker Raum Wohn- und Geschäftsbauten, die mit einem formalen Reduktionismus der traditionellen Typen und dem verstärkten Rezipieren der amerikanischen Streamline-Moderne zu charakterisieren sind.

Parallel zur praktischen Betätigung im Bauwesen schuf Wilhelm Nikolaus Prachensky ein umfangreiches malerisches Oeuvre, in welchem er sich in erster Linie Landschaften und Städteansichten widmete. In einem Brückenschlag zwischen expressionistischer und neu-sachlicher Ausdrucksweise ging es Prachensky “um das reportagehafte Erfassen einer Szene, einer Kulisse, einer Struktur”.

Trotz des Generationsunterschieds lassen sich retrospektiv betrachtet durchaus Gemeinsamkeiten zwischen Wilhelm Nicolaus Prachensky und seinem Sohn, dem Maler Markus Prachensky, verfolgen. So studierte auch Markus Prachensky ab 1952 zunächst Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Lois Welzenbacher. Wie seinen Vater zog es auch den Sohn stets zur Malerei. Bereits ein Jahr später besuchte Markus den Abendakt von Herbert Boeckl und widmete sich fortan neben dem Studium der Architektur zugleich auch der Malerei.

Ähnlich wie der Vater nahm auch der Sohn bald eine rastlose Reisetätigkeit auf, die beim Vater Wilhelm Nicolaus zu konkreten topographischen Städteansichten, beim Sohn Markus zu abstrakten Darstellungen mit häufig topographischen Bezeichnungen führten. Die Tendenz zur Typisierung und Abwandlung eines einmal gefundenen Motivs bei größtmöglicher farblicher Reduktion in den Bildern von Wilhelm Nicolaus Prachensky erscheint mit den auf wenige Signalfarben reduzierten abstrakten Serien von Markus Prachensky geradezu auf die Spitze getrieben.

Wien und Otto Mauer

Als Markus Prachensky 1952 nach Wien übersiedelte und sein Studium an der Akademie aufnahm, knüpfte er bald die für ihn in Zukunft so entscheidenden Kontakte mit den gleichfalls an der Akademie studierenden Kollegen Wolfgang Hollegha und Josef Mikl. Beide waren Schüler der Meisterklasse Josef Dobrowskys und hatten in jenen Jahren bereits durch Ausstellungen in der Galerie “Strohkoffer” des Wiener Art Club einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. Auch Arnulf Rainer, damals Mitbegründer der kurzlebigen Künstlervereinigung “Hundsgruppe” und Schöpfer der Aufsehen erregenden “Mikrostrukturen” und “Zentralgestaltungen”, gehörte gleichfalls bald zum engsten Freundeskreis um Markus Prachensky.

Angeregt durch dieses Umfeld junger Avantgardekünstler sowie durch die damals in Wien heftig diskutierten Werke von Piet Mondrian und Ad Reinhardt verfolgte Prachensky in dieser ersten Phase etwa zwischen 1953 bis 1955 einen abstrakt-geometrischen Stil. 1954 mietete er am Lobkowitzplatz in Wien sein erstes Atelier, wo die geometrische Serie Lobkowitzplatz entstand.

1954 kam es zur entscheidenden Begegnung mit Otto Mauer (1907 – 1973). Monsignore Otto Mauer war als Dompriester der Pfarre St.Stephan in Wien und u.a. als Mitbegründer und Herausgeber der beim Verlag Herder erscheinenden Zeitschrift “Wort und Wahrheit” eine der schillerndsten und vielseitigsten Kulturmenschen im Österreich der Nachkriegszeit. 1954 übernahm Mauer von Otto Kallir-Nierenstein die Neue Galerie in der Günangergasse. Die hinfort unter dem Namen Galerie St.Stephan von Otto Mauer geleitete Galerie war keine Verkaufsgalerie im herkömmlichen Sinn, sondern ein durch großzügige Subventionen, u.a. des “Instituts zur Förderung der Künste” und des Industriellenverbandes ermöglichtes Zentrum für Gegenwartskunst. Ihre eindeutig pro-westliche Ausrichtung stellte gezielt auch einen politischen Faktor in der Kunstpolitik der Nachkriegszeit dar. Nicht zufällig lag das Hauptinteresse von Otto Mauer in der in Paris florierenden Kunstszene, und linksgerichtete Zeitungen wie die “Arbeiter-Zeitung” und “Volksstimme” ignorierten lange Zeit die Ausstellungen in der Galerie St.Stephan in ihren Besprechungen.

Vielen jungen, unkonventionellen österreichischen Künstlern gehörte von nun an Otto Mauers uneingeschränkte Aufmerksamkeit, unter denen Markus Prachensky und seine Malerfreunde Hollegha, Mikl und Rainer als besondere Schützlinge der ersten Stunde herausragten. Durch zahlreiche Ausstellungen internationaler Avantgardekunst konnte Otto Mauer der österreichischen Kunstszene wichtige Anregungen vermitteln. Einen besonderen Akzent legte Mauer auf das europäische Informel, welches “in den fünfziger Jahren eine allumfassende Herrschaft in der Avantgardekunst ausübte”. Werke der Hauptmeister des frühen deutschen Informel, Willi Baumeister und Wols sowie ihrer Schüler, weiters auch von Vertretern des französischen und spanischen Informel waren in Ausstellungen der Galerie St.Stephan wiederholt zu sehen.

Im Dezember 1955 veranstaltete Otto Mauer seine erste “Weihnachtsausstellung junger Künstler” und leitete damit die Tradition seiner Galerie ein, jedes Jahr im Dezember eine Auswahl der österreichischen Avantgardekunst dem Wiener Publikum vorzustellen. Markus Prachensky war während der folgenden zehn Jahre in nahezu lückenloser Regelmäßigkeit bei diesen Weihnachtsausstellungen vertreten.

In der Schau von 1955 war Prachensky mit dem großformatigen “Bild in Blau und Braun” vertreten. Von allen ausgestellten Werken hob Karl Maria Grimme Prachenskys Bild als einziges namentlich hervor und fand, es “sieht gut aus, doch ist das wieder einmal Form nahezu ohne Gehalt” (Österreichische Neue Tageszeitung vom 13.Dezember 1955). Arnulf Neuwirth, der sich über die Weihnachtsausstellung insgesamt sehr anerkennend äußerte, stellte gleichfalls zu Prachensky´s Bild fest, dass es “geschmackig komponiert und im ersten Augenblick überraschend wirke. Allerdings fülle es das große Format nicht ganz aus und bleibe daher eher im Dekorativen verhaftet” (Weltpresse vom 13.Dezember 1955).

Gruppe “Galerie St. Stephan”

1956 schloss Prachensky das Architekturstudium ab, widmete sich aber hinfort ausschließlich der Malerei. In einer Phase intensiven Suchens entwickelte Prachensky seine markante, auf kräftige Impulse sowie auf die ausschließliche Dominanz der roten Farbe reduzierte Ausdrucksgestik. Am ehesten war sein Anliegen mit der tachistischen Malweise zu vergleichen, bei welcher die “unmittelbare Übertragung der Emotion in Aktion” im Vordergrund stand, wie sie etwa der deutsche Maler Wols (eigentl. Otto Alfred Schulze-Battmann) bis zu seinem frühen Tod 1951 praktiziert hatte. Ab 1956 teilte sich Prachensky gemeinsam mit Wolfgang Hollegha ein Atelier in der Liechtensteinstraße in Wien. Hier entstand die erste Serie von roten Bildern, Liechtenstein, welche auf grauem bzw. auf schwarzem Grund gemalt waren.

In dessen Atelier beschlossen Wolfgang Hollegha und Markus Prachensky gemeinsam mit Josef Mikl und Arnulf Rainer, die Künstlergruppe “Galerie St.Stephan” zu bilden. Ziel der Gruppe war es, ab nun regelmäßig gemeinsame Ausstellung eigener Werke abzuhalten und darüber hinaus aktiv das Ausstellungskonzept in der Galerie St.Stephan zu gestalten, etwa in der Art, dass man gemeinsam entscheiden solle, welche Künstler zu Ausstellungen in die Galerie St. Stephan eingeladen würden. Vor allem Markus Prachensky erwies sich in den organisatorischen Belangen als ein sehr aktiver Teil der Gruppe und unternahm sofort zahlreiche, zum Teil von Otto Mauer finanzierte Reisen ins Ausland, um mit Künstlern und Galeristen in Kontakt zu treten. Die organisatorische Umtriebigkeit wurde auch dadurch gefördert, dass Prachensky 1956 Gerti Fröhlich, die Sekretärin der Galerie St.Stephan, heiratete.

Das aktive und selbstbewusste Auftreten des jungen Prachensky innerhalb der Galerie St.Stephan verfehlte auch bei den Kunstkritikern seine Wirkung nicht. Dazu kam, dass die extrem offene, tachistische, auf eine einzige Farbe reduzierte Malweise, wie sie Prachensky ab der Mitte der fünfziger Jahre markant vorführte, ständig einen Vergleich mit Vertretern des internationalen Informel herausforderte. So bemerkte etwa Jörg Lampe in seiner Besprechung der Ausstellung “Moderne farbige Graphik aus Paris”, die vom Kölnischen Kunstverein im Frühjahr 1957 in Köln veranstaltet wurde, dass “man bei Poliakoff an den hiesigen Prachenski (sic!) denke” (Die Presse vom 21.März 1957).

Im April 1957 lud die bekannte Galerie Arnaud neunzehn junge österreichische Künstler zu einer Ausstellung nach Paris ein (4. – 27.4. 1957). Die Schau umfasste neben Werken der Mitglieder der neu gegründeten Gruppe “Galerie St.Stephan” weiters Arbeiten von Fritz Aduatz, Gustav Karl Beck, Hans Bischoffshausen, Mario Decleva, Gottfried Fabian, Greta Freist, Johann Fruhmann, Gottfried Goebel, Fritz Hundertwasser, Rudolf Kedl, Kurt Möster, Arnulf Neuwirth, Karl Prantl, Rudolf Pointner und Josef Stoitzner.

Dass “zum erstenmal in der Geschichte der abstrakten Kunst eine Gruppe von österreichischen Malern und Bildhauern in Paris ausstellte”, machte auf die österreichische Presse großen Eindruck (Neues Österreich, 29.März 1957), und die Tiroler Tageszeitung (30.März 1957) erwähnte stolz, dass sich unter den neunzehn eingeladenen österreichischen Künstlern “aus Tirol der Innsbrucker Maler Marcus (sic!) Prachensky, der Sohn des vor einem Jahr verstorbenen Malers und Architekten WilhelmN. Prachensky” befinde und vermerkte auch den exakten Termin von Prachenskys Eintreffen in der französischen Hauptstadt. Prachensky blieb tatsächlich gleich einige Monate in Paris. Er dürfte dort Kontakt mit dem Maler und Kunsttheoretiker Michel Seuphor aufgenommen haben, der im Mai/Juni 1957 in der Galerie St. Stephan in Wien ausstellte. Nicht zufällig dürften durch diesen Kontakt die Mitglieder der Gruppe “Galerie St. Stephan” auch Eingang in das von Seuphor im selben Jahr verfasste Lexikon Abstrakter Malerei gefunden haben, das zunächst in Paris auf Französisch und im selben Jahr in München auf Deutsch erschien.

Im Sommer 1957 präsentierten sich die vier Künstler der Gruppe “Galerie St.Stephan” außerhalb der Galerie in der Grünangergasse, und zwar in einer von Werner Hofmann organisierten Ausstellung in der Wiener Secession (29.6. – 21.7. 1957). Unter dem Motto “Brandstifter” bezog jeder der vier Künstler einen eigenen Raum. Prachensky verfasste für den Ausstellungskatalog sein “Manifest 1957”, ein Plädoyer für das Ausschöpfen der “Intuitivkräfte” und “geistigen Realitäten” als Gestaltungsmöglichkeiten der heutigen Malerei.

Alfred Schmeller bewertete die vier Protagonisten höchst unterschiedlich. Josef Mikl, für welchen Schmeller stets eine Lanze brach, wurde geradezu euphorisch bedacht. “Wen diese Bilder nicht überzeugen, ist vermutlich selber daran schuld.”. Auch Wolfgang Hollegha wurde wohlwollend bewertet. Rainer und Prachensky hingegen “sind ganz anders. Prachensky pflegt einen aufrührerischen Freiheitsgestus in Blut, er pflegt ihn bis ins delikate Gerinnsel hinein: Robespierre der Kleine. Seine Bilder sind Revolutionsetüden am laufenden Band”. Laut Schmeller würden die beiden Säle von Prachensky und Rainer insgesamt einen hinreißenden Eindruck machen, die Isolierung einzelner Arbeiten hingegen bringe nur “ein Stück Oberfläche” zum Vorschein (Neuer Kurier vom 3Juli 1957).

Auch Jörg Lampe befand, dass “nur die Bilderreihen wirken”. Beeindrucken würde vor allem der überwältigende Farbeindruck von Rot bei Prachensky und Schwarz bei Rainer, aber die Bilderindividuen für sich betrachtet würden verlieren. Bei Prachensky “triumphiere der Protest, der sich explosionsartig entlade. Die Übersetzung der Emotionen in Gestalt, ihre Verarbeitung habe der Künstler nicht für nötig gehalten. Das Resultat sei ,ein ,Zuwenig’, mit offensichtlicher – wenn eventuell auch gegen eine uneingestandene Verlegenheit – gesetzter Präpotenz” (Die Presse vom 14.Juli 1957).

Immerhin wurde durch die Ausstellung in der Wiener Secession der bekannte Kunsttheoretiker Pierre Guéguen, welcher 1951 den Begriff “Tachismus” geprägt hatte, auf Markus Prachensky aufmerksam. Guéguen veröffentlichte in der Kunstszeitschrift “Art d´aujourd´hui” den Essay mit dem Titel “Le Rouge et le Noir – ou Stendhal tachiste”. In motivlicher Anlehnung an Stendhals bekannten Roman verglich Guéguen die Bilder von Prachensky mit Hartung und Mathieu und strich die Eigenwilligkeit des Österreichers hervor. Guéguen bemerkte zu Prachenskys Manifest, dieses besitze zwar nicht die sprachlich virtuose Manieriertheit eines Michel Tapié, dafür kenne der Maler eine “magische Suggestionskraft, die allemal der Anfang sein muss, besonders bei diesem chtonischen Erde an Erde des Informellen.”

Prompt ätzte ein österreichischer Kritiker anlässlich der Weihnachtsausstellung der Galerie St.Stephan von 1957: “Seit irgendein Journalist Prachensky den Stendhal des Tachismus nannte, fühlt er sich offenbar verpflichtet, seinen Farben Rot-Schwarz treu zu bleiben” (Furche vom 21.Dezember 1957).

Otto Mauer organisierte weitere Ausstellungen der Gruppe “Galerie St.Stephan” in Deutschland, und zwar im November 1957 in der “Galerie f” in Reutlingen und im Dezember 1957 im Völkerkundemuseum in Hamburg. Signifikanterweise nahm der mit “H.Th.F.” firmierende Kritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine geradezu den Wiener Kritikern entgegengesetzte Position ein. In seinen Augen blieben Hollegha und Mikl in ihren Konzepten ziemlich unklar und gelangten zu keinen definitiven Ergebnissen. Auch bei Rainer herrsche zu viel “bewusster” Zufall und zu wenig malerische Bewältigung. “Klar überzeuge hingegen Prachensky, der wohl der malerisch begabteste des Kreises sei. In seinen ,roten Signaturen’ würde der Maler geschickt Elemente von Hartung und Soulages adaptieren und zu Eigenem verarbeiten, wobei die ausgewogenen Bezüge entfallen. Insofern würden reizvolle neue Wirkungen entstehen” (17.Dezember 1957).

Die von Anfang an anerkennenden Einschätzungen ausländischer Kritiker gegenüber dem jungen Prachensky lassen es verständlich erscheinen, weshalb Prachensky sehr früh den Kontakt mit Kunstgalerien außerhalb Österreichs, vor allem in Deutschland, suchte. So wie zuvor anlässlich der Pariser Ausstellung blieb Prachensky auch anlässlich der Hamburger Ausstellung gleich mehrere Monate in Hamburg.

Bei einem Wettbewerb für die Anfertigung eines Glasfensters für die Kirche St.Joseph in Hasloch bei Würzburg, ausgeschrieben vom Diözesanbauamt Würzburg, erhielt Prachensky den ersten Preis. Dies mag zunächst überraschen, erscheint doch die vom spontanen Farbauftrag getragene tachistische Malweise als für die mit hohem technischen Aufwand begleitete Glasfensterkunst wenig geeignet. Doch die zur Meditation einladenden abstrakten Formen in Rot und Weiß entsprachen den ambitionierten Vorstellungen aufgeschlossener kirchlicher Entscheidungsträger. Prachensky verwendete für das Fenster Glas aus Lyon, welches er in mehrmonatiger Arbeit eigenhändig zurechtschlug. Für den Pfarrsaal von Hasloch fertigte er noch ein zweites Fenster aus Transparentglas an.

Diese Glasfenster riefen in der Öffentlichkeit große Anerkennung hervor und trugen viel zu Prachenskys rascher Bekanntheit in Deutschland bei. Anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung im Oktober/Novemer 1960 in Aschaffenburg durch Otto Mauer verwies ein Journalist auf das kurz zuvor entstandene Glasfenster in Hasloch: “Kunstinteressierte kommen von weither, um dieses Fenster zu bestaunen, und wenn sich die Sonne in den gebrochenen Glassteinen aus Lyon bricht, wenn der ganze Zauber des Lichts in das Kircheninnere fällt, dann revidiert sogar der skeptische Kritiker seine Meinung über Prachensky” (Volksblatt, Aschaffenburg, vom 29.Oktober 1960).

Im Jänner und Februar 1958 folgte eine weitere Schau der Gruppe “Galerie St.Stephan” in der Galerie “Der Spiegel” in Köln. Schließlich war die Gruppe “Galerie St.Stephan” im Februar 1958 in Graz in der Jahresausstellung der Grazer Sezession vertreten. Bei dieser umfangreichen Werkschau zeitgenössischer Grazer Künstler einschließlich einer kleinen Piet Mondrian-Retrospektive bildeten nicht völlig überraschend die Künstler aus Wien den Stein des Anstoßes. Der Kritiker “rzb” empörte sich darüber, dass man “Klecksereien von solch monströser Sinn- und Formlosigkeit bisher noch nicht als ,Kunstwerke’ anzubieten gewagt habe” und zudem für diese Werke unverschämte Preise verlange. “Markus Prachensky ist am primitivsten und teuersten; er verlangt für rote Farbspritzer ganze 1200 Schilling” (Kleine Zeitung vom 23.Februar 1958). Dass eine solche Pressestimme allerdings nicht als pars pro toto zu werten ist, zeigt die Besprechung der Ausstellung in der Süd-Ost Tagespost, in welcher der Kritiker “K.H.M.” ohne jegliche Polemik die interessanten Aspekte der Ausstellung hervorhob und den vier Künstlern aus Wien Begabung zuerkannte (23.Februar 1958).

Gemeinsames Auftreten mit Arnulf Rainer

1958 war das Jahr von Prachensky´s engster Zusammenarbeit mit Arnulf Rainer. Prachensky malte in Arnulf Rainers Atelier in Gainfarn bei Bad Vöslau seine berühmten Serien Rouge sur noir – Gainfarn und Rouge sur blanc – Gainfarn.

In der “Galerie33” in Bern stellten im April 1958 Markus Prachensky und Arnulf Rainer gemeinsam aus. Die Meinungen waren gegenüber Prachensky skeptischer als gegenüber Rainer. Dessen unheimlichen, in Schwarz gehaltenen Bildschöpfungen beeindruckten die Berner Kritiker mehr als die von der Kritik als oberflächlich eingestuften Bilder Prachenskys (Der Bund vom 16.April 1958, Berner Tagblatt vom 18.April 1958, Berner Tagwacht vom 18.April 1958).

Gemeinsam präsentierten sich beide Künstler auch dem Wiener Publikum. Im Mai/Juni 1958 waren in der Galerie St.Stephan gleichzeitig die beiden Ausstellungen “Peintures récentes de Markus Prachensky” und “NNN-Malerei” von Arnulf Rainer zu sehen (30.5. – 22.6. 1958). Es gab eine Conférence mit beiden Künstlern zur Ausstellung. Ein Faltblatt als Plakat war mit dem Gedicht “rot auf schwarz / rot auf schwarz / rot auf schwarz” von Prachensky und einem Text von Arnulf Rainer versehen. In Anspielung auf Prachensky´s Gedicht äffte Arnulf Neuwirth (Express vom 9.Juni 1958) parodierend nach: “Lackfleck / Lackfleck / Lackfleck”. Anders als zu den weitschweifigen Ausführungen zu Rainer waren die Kritikerkommentare zu Prachensky eher knapp und ausweichend. Man bemerkte nur, dass etwa “dessen Bilder lediglich Vorstudien von Chiffren, aber noch keine ausstellungsreifen Bilder seien” (Maria Buchsbaum in der Wiener Zeitung vom 5.Juni 1958) oder dass “zwei, drei Tafeln anstelle eines ganzen Saales genügt hätten” (Karl Maria Grimme in der Österreichischen Neuen Tageszeitung vom 8.Juni 1958).

Die Angriffe konzentrierten sich zuweilen auch auf Prachensky als Kunstfigur, etwa wenn Johann Muschik feststellte, dass “auf eine Epoche, in der Prachensky mit langem rotem Pullover bekleidet und einem Monokel vorm Auge einherging, nun die der buntseidenen Weste, des Vollbarts, des schwarzen Anzugs mit Röhrlhosen und spitzen langen Stiefletten folge” (Neues Österreich vom 14.Juni 1958). Die imposante äußere Erscheinung von Markus Prachensky, die Aufmerksamkeit, die dieser stets seiner Kleidung, seiner Frisur, seinem Baartschnitt widmetet, wurde von der Öffentlichkeit genauestens registriert. Gerade in den Aufbruchsjahren der späten fünfziger und sechziger Jahre pflegte Prachensky wohl nicht ungern das Image eines revolutionären Künstlers und Intellektuellen, um sich gleichsam wie viele andere Künstlerkollegen zur Kunst- und Politfigur hochzustilisieren.

Nicht zu unterschätzen war in diesem Zusammenhang Prachensky´s Wirkung auf das weibliche Publikum. Aus dem Umkreis der ehemaligen Mitarbeiterinnen der Galerie nächst St.Stephan hört man heute noch, näher zu Prachensky gefragt, spontan den Satz, er sei ein großer Frauenheld gewesen. Die vier Ehen, die Prachensky in relativ kurzer Abfolge zwischen 1956 und 1972 einging, trugen wohl das ihre dazu bei, um auch den Privatmenschen Prachensky in den Mittelpunkt des journalistischen Interesses zu rücken.

Im Sommer 1958 waren in Wien nochmals Werke von Rainer und Prachensky gemeinsam zu sehen. Die Österreichische Staatsdruckerei in der Wollzeile widmete ihre diesjährige Festwochenausstellung “Moderne Kunst aus Österreich” den Werken dieser beiden Künstler sowie Arbeiten von Josef Mikl und Paul Meissner. Beachtenswert war die Bandbreite der Reaktionen der Presse. Spottete Liselotte Espenhahn (Neuer Kurier vom 13.Juni 1958), dass Prachensky “die Wasserfarbe scheinbar mit einem Handbesen aus gemessener Entfernung an die Wand klatsche” und befand Karl Maria Grimme (Österreichische Neue Tageszeitung vom 18.Juni 1958), Prachensky habe “in seinen Fleckblättern weder Form noch Gehalt”, und stellte Alfred Schmeller (Neuer Kurier vom 17.Juni 1958) fest, dass “Prachenskys Rotflecken reine Ornamentik” und somit – unter Zitierung von Loos – Verbrechen seien, so setzte sich andererseits Maria Buchsbaum (Wiener Zeitung vom 11.Juni 1958) eingehend mit dem apokalyptischen Ernst des Dargebotenen auseinander: “Prachenskys Exponate entstammen derselben Grundstimmung. Rot zerrinnt in schwarz, formlos – wolkig – zufällig, wie geronnenes Blut.”

Höhepunkt und zugleich Ende der Zusammenarbeit zwischen Markus Prachensky und Arnulf Rainer stellte das am 3.Juli 1958 gemeinsam verfasste Manifest “Architektur mit den Händen” dar. In wenigen Sätzen traten die beiden Künstler für die Überwindung der Sterilität der Bauhaus-Kunst ein, um eine neue, authentischere Architektur “aus Federn, Bäumen, Gras, Papier, Erde und Heu” zu schaffen. Auslöser dafür war das Schockerlebnis, das Prachensky und Rainer anlässlich eines gemeinsamen Besuchs im Neo-Bauhaus in Ulm hatten, wo der Bauhaus-Schüler Max Bill die Weimarer bzw. Dessauer Tradition weiterführte.

Paris – Wiesbaden

Anlässlich der Weltausstellung reiste Prachensky nach Brüssel und anschließend nach Paris, wo er wieder einige Monate blieb. Diesmal lernte er die Größen der École de Paris kennen, etwa Jean Arp, Alberto Giacometti, Pierre Soulages, Georges Mathieu, Yves Klein und Sam Francis. Auch mit den Kunsttheoretikern Michel Tapié, Pierre Restany und Julien Alvard traf Prachensky wiederholt zusammen.

Wieder zurück in Wien malte Prachensky in dem am Sebastianplatz im dritten Wiener Gemeindebezirk gelegenen Atelier seines Freundes Fritz Riedl 1958 die Serie Rouge sur blanc – avant Seckau. Ein Jahr später entstand dort die weitere Serie Rouge sur blanc – Sebastianplatz.

Im Frühjahr 1959 reiste Prachensky nach Wiesbaden und nahm an der Ausstellung “Salon Informel” teil. Er blieb in Wiesbaden einige Zeit, wo die Serie Rouge sur blanc – Wiesbaden entstand. Graphische Arbeiten von Prachensky wurden auch auf der DocumentaII in Kassel gezeigt.

“Peinture liquide” – Wien

Wieder in Wien brachte Markus Prachensky im Theater am Fleischmarkt seine erste “Peinture liquide” zur Aufführung. Das Theater am Fleischmarkt war erst ein Jahr zuvor vom “Institut zur Förderung der Künste” als progressives Kunsttheater gegründet worden. Josef Mikl hatte 1958 diverse Bühnenbilder und Kostüme für Aufführungen an diesem Theater entworfen.

Am Abend des 2.April 1959 wurden insgesamt fünf Dramolette des aus Ungarn stammenden und in Bern lebenden Dramatikers Carl Laszlo aufgeführt. Während einige Schauspieler den Text des ersten Stücks “Des Geometers Hochzeit” zur “konkreten” Orchestermusik des Schweizer Zwölftonkomponisten Rolf Fenkart deklamierten, ließ Markus Prachensky auf der Bühne über drei riesige Leinwandtafeln solange rote Farbe von oben herab rinnen, bis die gesamten Flächen rot eingefärbt waren. Jörg Lampe bemerkte, dass das irritierende Ereignis des “rot rinnenden ,Bühnenbildes’” das Theaterstück völlig in den Schatten stellte: “Dieses ,Traumspiel’ wurde zur teilweise sehr interessanten ,Music concrète’ von Pierre Henry (sic!) abseits der Bühne, die inzwischen ein rot rinnendes ,Bühnenbild’ beherrschte, gesprochen.” (Die Presse vom 4.April 1959).

Eine Assoziation von Prachenskys “rot rinnendem Bühnenbild” mit dem Beginn des Wiener Aktionismus ist naheliegend, wurde aber in den Besprechungen über die Anfänge des Wiener Aktionismus bisher kaum thematisiert. Im Herbst 1960 stellte etwa Hermann Nitsch im Loyalty-Club in Wien kleinformatige Rinn- und Wachsbilder aus. Im November desselben Jahres führte Nitsch seine erste Malaktion durch, bei welchem der Entstehungsprozess, das Verschütten von roter Farbe, im Zentrum stand und auch filmisch festgehalten wurde. Die Aufmerksamkeit eines größeren Publikumskreises erregte schließlich erstmals die 7.Malaktion, die Nitsch 1962 gemeinsam mit Otto Mühl und Adolf Frohner in Mühls Wiener Atelier durchführte. Wohl stärker als bei den Werken des frühen Aktionismus stand bei Prachensky der nicht auf Dauer angelegte Aufführungsscharakter im Vordergrund. Das mit Farbe bedeckte Bühnenbild wurde später zerstört, was für “Prachenskys transitorische Einstellung kennzeichnend ist”.

Allerdings wurde Prachenskys rinnendes Bühnenbild selber zwangsläufig von der Hauptattraktion des damaligen Abends in den Hintergrund gedrängt. Dann nach Aufführung der vier weiteren Dramolette von Carl Laszlo malte der aus Paris eigens zu diesem Anlass nach Wien eingeladene Georges Mathieu auf der Bühne zu den Klängen von Pierre Henry innerhalb von fünfzig Minuten das drei mal sechs Meter große Gemälde “Hommage au Connetable de Bourbon”. Der einsetzende Zorn der Kritiken galt daher in erster Linie dem selbstbewussten Auftreten des französischen Tachisten und seiner Gemälde, die einschließlich des eben erst entstandenen Riesenbildes in der Galerie St. Stephan zu sehen waren (2. – 18.4. 1958).

Indoktrinierung der Avantgarde

Die von Otto Mauer organisierten Ausstellungen zeigten schon bald Tendenzen, dem Publikum gegenüber die Entwicklung der von ihm protegierten Künstler in kurzer Abfolge in retrospektiven Präsentationen gleichsam zu indoktrinieren. Im Juni 1959 zeigte Otto Mauer in seiner Galerie St. Stephan eine Schau mit den “Jugendarbeiten” der damals rund dreißigjährigen Künstler der Gruppe “Galerie St. Stephan” sowie von Peter Bischof. Die ersten Frühwerke von Hollegha, Mikl und Rainer waren zumindest rund zehn Jahre alt und konnten bereits eine gewisse Entwicklung der Künstler vermitteln. Zu Prachensky hingegen bemerkte Alfred Schmeller ironisch, dass dieser vor zehn Jahren noch gar nicht da war. Zu den um 1955/56, also erst drei Jahre zuvor entstandenen Arbeiten befand er, es handle sich “um geometrische Farbverteilung ohne besonderen Persönlichkeitswert. Ob er bis heute hinzugewonnen hat? Eine offene Frage.” (Neuer Kurier vom 10.Juni 1959).

Im Juli 1959 veranstalteten das “Institut zur Förderung der Künste” und der “Kongress für die Freiheit der Kultur” im Künstlerhaus die Ausstellung “Jeunes peintres d´aujourd´hui / Junge Malerei der Gegenwart”. Der französische Kunstkritiker Julien Alvard hatte eine Auswahl von 48 Werken von internationalen Künstlern aus vierzehn verschiedenen Nationen zusammengestellt. Markus Prachensky kannte Alvard von seinem Parisaufenthalt und wurde als einziger österreichischer Vertreter in die internationale Auswahl mit aufgenommen. Die übrigen Mitglieder der Gruppe “Galerie St.Stephan” sowie Hundertwasser und Fuchs waren zwar auch vertreten, liefen aber außer Katalog.

In einer schriftlichen Einführung im Vorraum zur Ausstellung lieferte Alvard eine erschöpfende Darstellung der Wurzeln der abstrakten Moderne und bemühte sogar Martin Luther als Urvater des Tachismus, weil dieser in einem Wutanfall ein Tintenfass an die Wand geschleudert haben soll. Prompt ätzte Arnulf Neuwirth, dass “dieser Ur-Prachensky-Fleck noch heute eine Wand in der Wartburg ziere und von Kustoden sorgfältig von Zeit zu Zeit restauriert werde” (Express vom 1.August 1959).

Ausstellungen dieser Art wurden von den Organisatoren wohl in der bewussten Absicht einer politischen Indoktrinierung des Westens gegenüber Mittel- und Osteuropa veranstaltet. Die Kritikerin Yvonne Hagen von der New York Herald Tribune stellte unverhohlen fest: “It brings together a comprehensive view of avant-garde art from the Western world, and is the first large show of really advanced tendencies in art that Austria and the Eastern visitors will have seen since the advent of Hitler” (30.Juli 1959). Die Wiener Kritiker waren hingegen von diesem Nachhilfeunterricht in Sachen Moderne wenig begeistert und bemängelten vor allem die dürftige Qualität der Bildauswahl (Jörg Lampe in Die Presse vom 27.Juli 1959; Alfred Schmeller im Kurier vom 27.Juli 1959).

Für eine Reihe von Ausstellungen in der Galerie St. Stephan betätigte sich Markus Prachensky zur Abwechslung selber als Ausstellungsgestalter, etwa Ausstellungen von Jean Arp, Käthe Kollwitz, James Ensor oder die Gedächtnisausstellung “Alfred Kubin. Zeichnungen und Graphik aus der Sammlung Otto Mauer” vom Oktober 1959. Prachensky kümmerte sich nicht nur um die Leihgaben und deren Präsentation, sondern entwarf auch selber die Ausstellungsplakate und gegebenenfalls die begleitenden Publikationen.

Zu Beginn des Jahres 1960 wurden einige Werke von Prachensky in der vom Pariser Louvre veranstalteten Ausstellung “Antagonismes” gezeigt. Von dieser Beteiligung sind zwar keine unmittelbaren Medienreaktionen bekannt, doch stellte sie einen enormen Imagegewinn für Prachensky dar und war den Befürwortern seiner Kunst stets dann von großem Vorteil, wenn es um die Rechtfertigung seiner Malerei gegenüber einem empörten Publikum ging.

Rouge sur blanc – St. Stephan

Abgesehen von der gemeinsamen Schau mit Arnulf Rainer hatte Prachensky bisher noch keine Gelegenheit gehabt, seine Bilder im Rahmen einer Einzelausstellung zu präsentieren. Im Februar 1960 war es dann soweit: Eigens für diese Ausstellung (17.2. – 13.3. 1960) malte er die Serie Rouge sur blanc – St. Stephan, darunter ein Querformat in den Ausmaßen von 2,8 x 10 Meter. Das Bild malte Prachensky in den Räumlichkeiten der Galerie, die aus diesem Anlass für einige Tage schließen musste. Radikal und kompromisslos wie kaum zuvor setzte die Serie Rouge sur blanc – St. Stephan tachistische Spontaneität und Gestik als Gestaltungsprinzip ein.

Mit dieser Schau seiner jüngsten Phase hatte Prachensky allerdings selbst diejenigen Kritiker, die seiner Arbeit bislang auch positive Aspekte abgewinnen konnten, völlig überfordert. Aus purer Ratlosigkeit versuchte man krampfhaft, in den tachistischen Chiffren banalste Objekte zu erblicken. Vor allem die Darstellung auf dem großen Querformat, das bereits auf Grund seiner Dimensionen zu dem für Prachensky ungünstigen Vergleich mit dem kurz vorher in Wien gemalten Riesenbild von Georges Mathieu herausforderte, provozierte die primitivsten Assoziationen der Journalisten, die von “endloser Lindwurm” (Heinrich Neumayer in der Österreichischen Neuen Tageszeitung vom 23.Februar 1960) über “rotes Adaxl” (Johann Muschik im Neuen Österreich vom 24.Februar 1959) bis zu “Höllenhund” alias “Grottenbahnhund” alias “chinesischer Drachenhund” (Alfred Schmeller im Kurier vom 22.Februar 1959) reichten. Selbst seriöse KritikerInnen konnte mit “dem vielen Rot” und den “kreisenden Wirbeln in Spiralform und Zickzackfahrten der Malerhand” (Jörg Lampe in Die Presse vom 19.Februar 1960) und dem “alles nivellierenden Meer roter Farbe … das doch immer das gleiche ist” (Maria Buchsbaum in der Wiener Zeitung vom 21.Februar 1960) wenig anfangen.

Tatsächlich blieb “Rouge sur blanc – St. Stephan”, wie das Monumentalbild der Ausstellung mit wirklichem Titel hieß, eines der meist gefragtesten Bilder von Markus Prachensky. Es war 1970 im Kunstverein Hannover, 1971 in der Ausstellung “Das große Format” im Wiener Künstlerhaus, 1972 im Museum Ulm, schließlich in den beiden großen Prachensky-Ausstellungen in der Wiener Akademie der bildenden Künste von 1979 und 2000 sowie zuletzt in der Ausstellung im Willy-Brandt-Haus in Berlin 2000 zu sehen. Erst vor einem Jahr trennte sich der Künstler von diesem Werk, als es die Neue Galerie der Stadt Linz für die künftige Präsentation in dem noch in Bau befindlichen neuen Museum erwarb.

Ein Monat nach der spektakulären Prachensky-Schau in Wien stellte Otto Mauer im April/Mai 1960 die jüngsten Arbeiten seiner Gruppe “Galerie St.Stephan” in der Galerie Springer in Berlin aus. Auch die bisher verständnisvollen deutschen Kritiker erschienen von Prachenskys aktueller Phase vor den Kopf gestoßen. Hellmut Kotschenreuther etwa sah im “Schmieren und Spritzen von roter Farbe auf die Leinwand nichts anderes als Selbstbestätigungen und Temperaments-Explosionen” (Berliner Morgenpost vom 26.April 1960).

“Peinture liquide” – Aschaffenburg

Prachenskys bis dahin spektakulärster Auftritt ereignete sich gleichfalls in Deutschland, in Aschaffenburg. Für eine Einzelausstellung in der “Galerie59” schuf er zunächst die Serie Rouge différents sur blanc – Aschaffenburg. Die Schau wurde am 21.Mai 1960 von Otto Mauer mit einer seiner berühmten Ansprachen eröffnet, in welchen der Monsignore weniger auf den Künstler, als vielmehr auf Kunst und Metaphysik im Allgemeinen einging.

Am Abend des selben Tages inszenierte Prachensky dann seine zweite “Peinture liquide”, die im Gegensatz zum Ereignis im Wiener Fleischmarkttheater des Vorjahrs ungleich größeres mediales Aufsehen hervorrief. Fernsehen, Rundfunk und nicht weniger als 28 Photoreporter waren neben zahlreichem Publikum im Stadttheater Aschaffenburg, das von der “Galerie59” zu diesem Zweck eigens angemietet worden war, erschienen. Zunächst brachten zwei Solotänzerinnen modernen Tanz zu elektronischer Musik von Hermann Heiß zur Aufführung. Nach der Pause gelangte das von Hermann Heiß gleichfalls für elektronische Musik komponierte Stück “AS60” zur Uraufführung. Während dieser Darbietung schüttete Markus Prachensky vom oberen Rand einer zehn Meter breiten und sechs Meter hohen Leinwand binnen zwanzig Minuten rote Farbe herunter, sodass die Leinwand schließlich mit Rot vollständig bedeckt war. Abschließend verbeugten sich Prachensky und Heiss auf der Bühne, Prachensky stapfte noch ein wenig in der am Boden verrinnenden Farbe umher, und der Vorhang fiel.

Die Pressereaktionen waren allein vom quantitativen Ausmaß her gewaltig. An die hundert zum Teil mit Fotos versehene Artikel erschienen ab dem 21.Mai in der Lokalpresse und den überregionalen deutschen Tageszeitungen. Der Großteil davon war reportagehaft neutral gehalten und erwähnte kommentarlos die Reaktionen des Publikums, das sich sowohl mit Beifallklatschen als auch mit Pfui-Rufen geäußert hatte. Einige ausführlichere Beiträge beschrieben eingehend und in respektvoll seriösem Ton die Vorführung.

Nicht überraschend gab es aber auch jede Menge von Verrissen. P. Espe beklagte etwa, dass “die eigenwilligen, aber großartigen Tanzdarbietungen einen würdigeren Rahmen verdient hätten” und bezeichnete Prachenskys Bilder als “Bluff” (Main-Echo, Aschaffenburg, vom 23.Mai 1960). “F.Sch.” von der Süddeutschen Zeitung konzedierte zwar, “dass Prachensky zweifellos ein talentierter Maler sei, was er sich aber in Aschaffenburg geleistet hat, übersteigt jedes Maß. Wenn das, was er zeigte, das Werkstattgeheimnis eines moderne Malers sein soll, dann ist dieses Geheimnis eine Farce” (27.Mai 1960).

Wenig überraschend bildete Prachenskys Aktion auch Stoff für Karikaturen und spöttische Glossen und löste eine Reihe empörter Leserbriefe aus (Main-Echo, Aschaffenburg, vom 23., 24., 28.Mai, 7., 13.Juli 1960). Im Aschaffenburger Stadtrat betrachtete man das Ganze vollends als einen Skandal und beschloss, “das Theater für solche Sachen nicht mehr zur Verfügung stellen” (Main-Echo, Aschaffenburg, vom 24.Mai 1960, Aschaffenburger Volksblatt vom 24.Mai 1960).

Gleichzeitig mit der Besprechung der “Peinture liquide” wurde in den Artikeln regelmäßig auch auf die laufende Ausstellung Prachenskys in der “Galerie59” hingewiesen, jedoch fast immer ohne jeglichen Kommentar. Dies erstaunt insofern, als die dort ausgestellten Werke den extrem tachistischen Stil der erst im Februar in Wien gezeigten Bilder fortsetzten, die dort auf einhellige Ablehnung gestoßen waren. Im Gegensatz dazu ging etwa das Aschaffenburger Volksblatt vom 20.Mai 1960 aufmerksam auf die Person des Künstlers ein und übernahm bereitwillig die Mauer´sche Diktion über Prachensky. “I.R.” von der Abendpost, Frankfurt a.M., unterschied zwischen den großformatigen Arbeiten, die fast nur noch “leere, dekorative Ästhetizismen” darstellen, und den kleinformatigen Bildern, in denen sich “die ästhetische ,Kalligraphie’ zu Zeichen des Geistes und seiner Wirklichkeit im menschlichen und kosmischen Leben verdichtet” (8.Juni 1960).

Insgesamt konnte die Aschaffenburger Ausstellung sogar als Erfolg für Prachensky betrachtet werden. Wie die Zeitschrift Vernissage, Baden-Baden, vom Juni 1960 feststellte, erzielte der Maler “schon auf der originellen Vernissage einen beachtlichen Verkaufserfolg (Preise: 500 – 20.000DM)”. Prachensky blieb in den darauffolgenden Monaten in Aschaffenburg und malte eine weitere Serie, Rouge sur gris – Aschaffenburg.

Den Aschaffenburger Erfolg konzedierte dem Künstler auch Jörg Lampe in einer Besprechung der Festwochenausstellung (Die Presse vom 31.Mai 1960), in welcher Prachensky gemeinsam mit den übrigen Mitgliedern der Gruppe “Galerie St.Stephan” wieder in der Wiener Galerie vertreten war (28.5. – 28.6. 1960). Weiters waren Werke von Prachensky Ende September/Oktober 1960 in der Ausstellung “Neue Malerei und Plastik in Österreich” anlässlich der Eröffnung des Erweiterungsbaus des Tiroler Kunstpavillons in Innsbruck zu sehen.

Prachenskys Bekanntheit und Aufenthalt in Aschaffenburg nahm Otto Mauer zum Anlass, im Oktober desselben Jahres in der “Galerie59” in Aschaffenburg diesmal die gesamte Gruppe “Galerie St. Stephan” sowie Andreas Urteil, Maria Lassnig, Fritz Riedl und Franziska Wibmer auszustellen (30.10. – 10.11. 1960). Eindrucksvoll war das Aufgebot an Prominenz aus Kunst und Politik, die zur Eröffnung erschien, darunter etwa auch Biennale-Leiter Umbro Apollonio. Die Besprechungen über die Ausstellung reichten von der nicht überraschenden konservativen Ablehnung abstrakter Kunst bis hin zu berührendem Zuspruch, wie etwa von “s.” im Volksblatt, Aschaffenburg: “Schön ist es, daß wir das alles sehen und erleben können und daß letzten Endes diese Ausstellung eine Botschaft der Grenzen ist, der wir den gebührenden Respekt nicht versagen dürfen” (31.Oktober 1960).

1960 erhielt Prachensky einen weiteren Auftrag für ein Glasfenster, und zwar für die großflächigen Betonfenster an den Seitenwänden der neuen Pfarrkirche von Ruhstorf an der Rott bei Passau. So wie in Hasloch bei Würzburg forderte dieser Auftrag nicht nur Prachenskys ganze künstlerische Aufmerksamkeit, sondern auch seinen vollsten physischen Einsatz. Wieder musste das Glas nach Farbton und Transparenz entsprechend ausgewählt und mit der Hand zurechtgeschlagen werden. Hatte der Auftrag für Hasloch nur ein einzigen Fenster von wenigen Metern Höhe bedeutet, so umfasste der Auftrag für Ruhstorf insgesamt sieben Glasfensterflächen, von denen die beiden größten Flächen eine Höhe von 21 Meter erreichen. Das Ergebnis der nahezu zwei Jahre währenden Schwerarbeit an den Glasfenstern war das atemberaubende, alles in seinen Bann ziehende Wechselspiel von leuchtendem roten und transparenten Glas, für welches die Architektur des neuen Kirchenbaus geradezu konzipiert erscheint.

1961 entstand in Aschaffenburg eine weitere Serie von Gemälden, die Serie Rouge sur blanc – Wolframs-Eschenbach, benannt nach der Stadt in der Nähe von Aschaffenburg. Im April verfasste Prachensky ein weiteres Manifest mit dem Titel “Retournons à la peinture”. Darin wandte sich der Künstler entschieden gegen Tendenzen, die “in die Werkstätte des industrial designers oder auf die Zeichentische verbockter Bauhausepigonen gehören”, und stellte in Mauer´scher Diktion die Forderung nach “wirklicher Malerei mit allen Höhen und Tiefen des Lebens und der Spiritualität” auf.

Karlsruhe – Stuttgart – Berlin

Unter dem Manifest-Titel “Retournons à la peinture” lief auch eine Einzelausstellung von Prachensky in der Galerie Rottloff in Karlsruhe, welche Otto Mauer am 6.Mai 1961 persönlich mit einer ausführlichen Rede eröffnete. Gegen den in Französisch gehaltenen Titel der Ausstellung sowie den Untertitel “peintures récentes de Markus Prachensky” empörte sich der Kritiker “G.” und meinte, Prachensky habe es “als geborener Innsbrucker nicht nötig, seine Muttersprache so mit französischen Brocken zu vermengen, daß ein unverdaulicher Wortsalat entsteht” (Badische Neueste Nachrichten, Karlsruhe, vom 10.Mai 1961). Von dem von Otto Mauer zitierten “dynamistisch veranlagten Menschen” war hingegen der Journalist “–me” begeistert und konnte ihn in Prachenskys Bildern nachvollziehen: “Wie in einer geballten Willensanstrengung ist die Rotglut der Farbe auf die Leinwand hingeschleudert, verdichtet sich zu Ballungen explosiver Wucht, die ganz vom Farbwert her bestimmt sind und so tatsächlich dem vorangestellten Leitziel entsprechen” (Allgemeine Zeitung, Karlsruhe, vom 12.Mai 1961).

Im Juni 1961 rückte Otto Mauer wieder in Wien die Gruppe “Galerie St.Stephan” ins Zentrum einer Ausstellung mit dem Titel “Neue Österreichische Kunst” (5. – 30.6. 1961). Die Schau wanderte weiter nach Deutschland und wurde in Aschaffenburg und Bochum gezeigt.

Zu Beginn des Jahres 1962 malte Prachensky in Wien eine weitere Serie von rouge sur blanc – Sebastianplatz. In einer Einzelschau in der Galerie St.Stephan zeigte er diese Serie sowie die nunmehr fertig gestellten Glasfenster in Ruhstorf bei Passau unter dem Thema “Malerei, Fotos der Glasfenster in Ruhstorf” (27.2. – 26.3. 1962). Alfred Schmeller fand, dass Prachenskys “Fleckenmalerei Reklamecharakter angenommen” habe und beurteilte das Bild des Plakatmotivs als das gelungenste, da es sich “mit seinem Aufwand an hingefleckter Kapriziösität in passenden Grenzen” halte (Kurier vom 6.März 1962).

Die Festwochenausstellung der Galerie St. Stephan wurde wiederum von der Gruppe “Galerie St.Stephan” sowie von Hundertwasser bestritten (8. – 26.6. 1962). Ende Juni 1962 stellte Markus Prachensky gemeinsam mit dem aus Karlsruhe stammenden Künstler Lothar Quinte in der “Galerief” in Ulm aus. Die Eröffnung wurde von Otto Mauer mit einer ausführlichen Rede bedacht, welche ihre Wirkung auf die Journalisten nicht verfehlte. Ein Kommentar ging auf das persönliche Auftreten von Prachensky ein und fand, dass dieser unverkennbar “durch Dialekt und Kaiser-Franz-Joseph-Backenbart an seine Heimatstadt erinnert” (“Dr.Kü.” im Ulmer Kulturspiegel vom 25.Juni 1962).

1962 verbrachte Prachensky größtenteils in Karlsruhe, wo er die Serie Rouge sur gris – Karlsruhe schuf. Privat hielt ihn in diesen Jahren nicht mehr viel in Wien, nachdem er sich von seiner Frau Gerti Fröhlich wieder getrennt hatte. 1962 ging Markus Prachensky seine zweite Ehe mit der Schauspielerin Maria Walenta ein. Noch im selben Jahr mietete er in Stuttgart ein eigenes Atelier.

In Karlsruhe präsentierte die Galerie Rottloff 1963 in einer Einzelausstellung die jüngsten Arbeiten von Prachensky. In München eröffnete Otto Mauer in der Galerie Otto van de Loo wieder eine Ausstellung der Gruppe “Galerie St. Stephan” (30.4. – 25.5. 1963). Anders als die bewundernden Kommentare zu Mauers Eröffnungsrede in Ulm ging der Kommentator zur Münchner Ausstellung, Müller-Mehlis, auf Konfrontationskurs zu Otto Mauer und hinterfragte erbarmungslos Mauers eloquente Bildsprache auf deren Verallgemeinerungswürdigkeit (Abendzeitung, München, vom 16.Mai 1963).

Der Deutsche Künstlerbund in Stuttgart zeigte in seiner Jahresausstellung vom Mai/Juni 1963 rund 475 Werke zeitgenössischer Künstler, darunter auch Werke von Markus Prachensky, die neben den Bildern eines weiteren Künstlers prominent an der Stirnwand des Ausstellungssaales plaziert waren. Laut Urteil von Hans Kinkel reichten jedoch “die formelhafte Routine von Karl Otto Götz und der von keiner geistigen Regung getrübte Elan von Markus Prachensky nicht aus, um auf der Stirnwand einen wirkungsvoll-entscheidenden künstlerischen Akzent zu sichern” (Stuttgarter Zeitung vom 20.Mai 1963).

Die frühen sechziger Jahre waren für Prachensky insgesamt eine extrem umtriebige Periode mit Ateliers an mehreren Orten gleichzeitig, neben Wien in Stuttgart und Karlsruhe, später auch in Berlin. Zu Prachenskys Rastlosigkeit hatte Otto Mauer seine eigene Meinung: “Markus, das ist das Ahasverische in Ihnen!” Auch die Kontakte zu den Künstlerkollegen aus dem Umfeld der Galerie St.Stephan wurden weiterhin gepflegt. Prachensky besuchte 1963 Wolfgang Hollegha in dessen Haus in Rechberg in der Steiermark, wo die ersten Studien für die Serie Rechberg entstanden.

1963 wurde Prachensky von der Galerie Springer in Berlin eingeladen, im dortigen Atelier ein Serie zu malen. Die Serie BerlinI bis X – 1963 wurde anschließend der Öffentlichkeit präsentiert. In Berlin war Prachenskys bisherige Malweise offenbar nicht so präsent, als dass hier jemandem aufgefallen wäre, dass sich mit der neuen Berliner Serie eine überraschende Veränderung eingestellt hatte: Erstmals seit Beginn seiner “roten Phase” seit 1956 rückte Prachensky von seiner ausschließlichen Fixierung auf die rote Farbe ab, und neben Rot stellte sich ein zurückhaltendes Blau ein. Zudem ging mit den Berlin-Bildern auch die Phase zu Ende, in welcher Prachensky seit 1958 neben Öl häufig mit Lackfarben gearbeitet hatte.

Reaktionen in Wien

In Wien hingegen wurde dieser Umschwung bei der Präsentation der neuen Bilder sofort registriert. Karl Maria Grimme rückte Prachenskys Arbeiten an den Anfang seiner Besprechung über die Weihnachtsausstellung in der Galerie St.Stephan und stellte geradezu euphorisch fest: “Prachensky wird lockerer, bewegter im Vortrag seiner Strichgebilde, das bisher ausschließlich verwendete Rot kontrastiert nun mit Blau” (Österreichische Neue Tageszeitung vom 17.Dezember 1963).

1964 malte Prachensky in Stuttgart weitere Serien, Solitude: rot und weiss, Solitude – rot und grün, Solitude – rot und violett, in denen sich die Bandbreite der verwendeten Farben kontinuierlich erweiterte und zudem ein bisher bei Prachensky nicht gekanntes kalligraphisches Element zum Einsatz kam. In Berlin, wo Prachensky mittlerweile ein eigenes Atelier angemietet hatte, entstand eine weitere Serie.

Diese jüngste Entwicklung stellte Markus Prachensky im Frühjahr 1964 in einer Einzelausstellung in der nunmehrigen Galerie “nächst” St.Stephan vor (31.3. – 22.4. 1964). Kristian Sotriffer stellte zu den neusten Arbeiten fest, dass der Künstler seine Malweise trotz des “Wasch- und Himmelblaus, das sich jetzt mit dem Rot kreuzt oder verbindet” beibehalten haben, wenngleich er jetzt “gezielter kleckst und schlenkert, auch eleganter und heiterer, als früher” (Die Presse vom 6.April 1964). Otto Breicha bemerkte, Prachensky habe nicht nur mit der nunmehr farblichen Differenzierung “neue gestalterische Bereiche dazugewonnen. (…) Das Gestalten in gleichsam räumlichen Schichten zeigt Prachensky dabei, seine Malerei neu zu orientieren” (Stuttgarter Zeitung vom 22.April 1964).

Mit Kristian Sotriffer und Otto Breicha war eine neue Kritikergeneration auf den Plan getreten, die in den folgenden Jahrzehnten das weitere Schaffen von Markus Prachensky aufmerksam begleiten sollte. Mit seinen Anfang Dreißig besaß Prachensky bereits ein ausgeprägtes Rezeptionsrepertoire, auf welches die Rezensenten hinfort zurückgreifen konnten. “Zum Stammgut der Galerie nächst St.Stephan gehörig” (Sotriffer, 1964), “kommt er vom Tachismus” (Heinz Ohff in Der Tagesspiegel vom 11.März 1965) und hat “seinen Ruf durch programmatische Rotmalerei begründet” (Breicha, 1964).

Ausblick in die späteren Jahre

Die Entwicklung von Markus Prachensky im weiteren Verlauf der sechziger Jahre zeigt, dass er die damals auftretenden Strömungen des Aktionismus, der Materialkunst und Medienkunst zwar aufmerksam, aber distanziert beobachtete. Lediglich die etwa zwischen 1966 und 1969 entstandenen Serien mit dem Auftauchen von präzis umrissenen, voluminösen Formen stellen in gewisser Hinsicht eine Auseinandersetzung mit dem zeitgleichen Hard Edge – Painting dar.

In späteren Jahren kehrte Prachensky wieder zu einer extrem gestischen Ausdrucksweise zurück. Darin glich er sich den anderen ehemaligen Mitstreitern der Gruppe “Galerie St.Stephan”, die seit den frühen sechziger Jahren nicht mehr als Gruppe existierte. Im Gegensatz zu anderen österreichischen Künstlern, für welche die Auseinandersetzung mit informeller Malerei lediglich ein Durchgangsstadium darstellte, verblieben Hollegha, Mikl und Prachensky in einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit den gestischen Methoden des Informel, wobei für Hollegha die Landschaft und für Mikl die menschliche Figur stets eine zentrale Rolle spielten. Will Grohmann stellte in seinem Standardwerk von 1966 fest: “Von den Malern, die durch die Lehre des Tachismus gegangen sind, sind einige bei der Theorie geblieben und nicht weitergekommen, andere haben sich ganz von ihr abgewendet. Der Österreicher Markus Prachensky ist heute bei einer diktatorischen Geste angelangt, die wie ein monumentales Schriftzeichen wirkt.”

Schließlich wurden auch bei Prachensky Landschaftssassoziationen für das Verständnis seiner Bilder in zunehmendem Maß immanent. Benannte Prachensky seine frühen Bilder noch objektneutral nach den Ateliers und Orten, wo die Bilder entstanden, bezeichnete der Künstler die späteren Werkserien weitestgehend nach Landschaften, wo er sich zur Zeit der Entstehung aufgehalten hatte, oder nach Musikstücken, die während des Malvorgangs auf ihn einwirkten.

Beurteilung

Die Beurteilung der Rolle der Rezensenten, welche die Ausstellungen Prachenskys der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre, während seiner radikalen “roten” Phase also, begleiteten, fällt nicht eindeutig aus. Prachenskys Auftreten in der Öffentlichkeit zu Beginn seiner Karriere erfolgte fast immer in Verbindung mit anderen Künstlern, sei es mit den Kollegen der Gruppe “Galerie St.Stephan”, sei es mit Künstlern aus dem Ausland. Dies gestaltete für die Kommentatoren eine objektiv-neutrale Beurteilung seiner Kunst als schwierig. Der häufige Vergleich von Prachenskys Arbeiten mit denen anderer Künstler fiel obendrein zumeist zum Nachteil Prachenskys aus, etwa bei den Auftritten Prachenskys zusammen mit Arnulf Rainer oder Georges Mathieu.

Mit seinen sich auf Rot beschränkenden, formal auf den gestischen Fleck reduzierten Arbeiten war der frühe Prachensky wohl der radikalste Vertreter der Informellen Richtung in Österreich und musste naturgemäß als Provokation erscheinen. Viele österreichische Kritiker nahmen ihm seine Kompromisslosigkeit übel, was spätere Beobachter zur Feststellung bewog, Prachensky sei verglichen mit den übrigen Mitgliedern der Gruppe “Galerie St.Stephan” der “Prügelknabe” gewesen.

Westdeutsche Rezensenten hingegen waren viel eher geneigt, Prachensky als mutigen Vertreter einer neuen Avantgardekunst anzusehen, die, wenngleich nicht leicht verständlich, zumindest doch zu respektieren war. Nicht zufällig war es in Deutschland, wo Prachensky mit seiner Vorführung der “Peinture liquide” in Aschaffenburg ins Zentrum des medialen Interesses gerückt war und sich erstmals einen überregionalen Bekanntheitsgrad erworben hatte. Eine Unzahl von Ausstellungen in Kunstvereinen und Museen, wie zuletzt die vor zwei Jahren im Willy-Brandt-Haus in Berlin gezeigte große Prachensky-Retrospektive, dokumentierten das ungebrochene Interesse der deutschen Öffentlichkeit an der Malerei von Markus Prachensky. Längst hat die Kunst von Markus Prachensky aber auch internationale Bedeutung erreicht und ist in allen Ausstellungen vertreten, welche die Kunst des Informel zum Thema haben.

Aus: Markus Prachensky
Eine Retrospektive
Österreichische Galerie Belvedere, Wien, Oberes Belvedere, 17. April bis 23. Juni 2001