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Le Rouge et le Noir – ou Stendhal tachiste

Pierre Guéguen, 1957

Die figurative Malerei spricht; zu oft sogar spricht sie von allem, nur nicht von Malerei!

Liechtenstein, 1956 – 1957

Die abstrakt-geometrische Malerei hingegen schweigt. Und was nun die abstrakt-tachistische Malerei anbetrifft, so verhält sie sich indifferent; sie erinnert zugleich an die Stille ihrer Herkunft und an das ungestüme Auftreten konkreter Vorstellungen.

Abstrakt – und dies im Wortsinn – hat der Tachismus kein Thema. Weniger noch, als der Geometrismus, der seine eigenen Figurationen kennt. Aber es liegt in der Natur des „tache“ (Fleck) begründet, der Imagination Vorschläge zu machen, denn gerade in seiner Form-losigkeit (informel) beruht eine Vielzahl von Möglichkeiten.

Die Interpretationen von Tachismus sind also höchst vielfältig. Hier sieht man es genau, wo Hartung und Prachensky sich den Anschein geben (trotz ihrer selbst) „Rot und Schwarz“ zu spielen.

Es ist fatal, dass der Geometrismus bei seinen Epigonen zu einem vertrockneten und knöchernen Purismus absackte, nachdem er einmal die Malerei durch untadelige Farbigkeit und grosse geistige Reinheit verjüngt hatte. Kein Euklidiker oder Riemannianer von gestern würde sich da halten wollen. Hartung hat es verstanden, sich frühzeitig abzusetzen. Mehr linear als oberflächlich und in der Linearität weniger Zieh-Linie als Pinselstrich, hat er den Geist der Zeichnung bewahrt, die Kunst der Intelligenz; in der Malerei, die Kunst der Materie.
Das heisst, dass er genau weiss, was er will und bis wohin er diese Formlosigkeit des Pinsels treiben kann, der ja ebenso autorisiert ist, eine Leinwand zu bemalen wie ein Haus, aber nicht uniform oder austauschbar. Der Pinsel soll vielmehr seine chaotische Seite deutlich machen, und wenn schon nicht die Zähne, so doch wenigstens die Borsten zeigen. Auch hat Hartung einen Stil verlassen, den Stil der Schmisse. Ebenso Mathieu – dessen Werk gleichfalls vom Graphismus lebt – den Stil der Phrasenhaftigkeit überwunden hat.

Der Stil von Prachensky ist ganz anders. Sein „tache“ lässt einen an die überschwemmten Halbinseln des Rimbaudschen „Bateau Ivre“ denken. Von links horizontal zurückgekehrt, an der Stelle der Karte, wo eine Fast-Insel sehr zerschnitten und zerklüftet ist, da wird sein „tache“ zu einer blutenden Gruppe, triefend von einheitlichem Rot. Von der rechten Seite gesehen hat die Gruppe sich betrinken und schlagen müssen. Bildnerisch ist sie in höchster Bewegtheit.

Es gibt bei Prachensky sehr wenig „Dirigismus“, sogar wenig Intellektualismus. Dafür besitzt er magische Suggestionskraft, die allemal der Anfang sein muss, besonders bei diesem chthonischen Erde an Erde des Informel. Sei die Malerei nun darstellend oder abstrakt – Perfektion allein reicht nicht. Es bedarf vielmehr jenes Bewusstseins von Unendlichkeit, das im Begriff ist, die kühnsten Unternehmungen von heute transzendent zu machen.

Pierre Guéguen, 1957