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Was sich ändert und was bleibt.

Peter Iden, 2007

Frühe und spätere Bilder von Markus Prachensky im Gegenüber.

Rouge sur noir – Gainfarn, 1958

Es ist der einigermaßen aufregende Grundgedanke dieser Ausstellung von Gemälden und Zeichnungen Markus Prachenskys, Arbeiten aus dem Frühwerk des Malers zusammenzuführen mit Bildern, die 40 Jahre später entstanden sind. Zu sehen sind also Zeugnisse seines frühen Schaffens, mit Datierungen von der Mitte der 50er bis zum Ende der 60er Jahre – und konfrontiert werden sie mit einer Auswahl aus der Produktion von Mitte der 90er Jahre bis in die unmittelbare Gegenwart; die jüngsten Bilder, aus der Serie „Swing de Provence“, wurden erst 2007 gemalt.

Spannend ist dieses Gegenüber, weil es dazu herausfordert, zu beobachten, was einerseits über die Jahrzehnte sich an Prachenskys Malerei gewandelt, tatsächlich verändert hat; und was andererseits als Merkmal des künstlerischen Temperaments und der Handschrift, aber auch hinsichtlich der Entscheidung für bestimmte Farbwerte und die Formen ihrer Erscheinung unverkennbar erhalten geblieben ist.

Frühwerk/Spätwerk: Es liegt dazwischen eine lange Strecke gelebten Lebens. Das heißt: eine Strecke der Erfahrung nicht nur mit Veränderungen der gesellschaftlichen Umgebung wie der privaten Situation, den persönlichen Verhältnissen des Malers, sondern der Erfahrung vor allem mit dem eigenen Malen, mit Gewinnen und Verlusten, dem Gelingen und den Selbstzweifeln, den Erfolgen und dem, was jeder wahre Künstler in Anbetracht der erreichten Lösungen immer wieder als Ungenügen gegenüber dem angestrebten Ziel empfindet.

Die Kontinuität auf diesem Weg durch die Zeit, die Kontinuität im Wandel des Werks ist, muss man doch denken, vor allem bewahrt in der Person des Malers selbst, in seiner Existenz. Aber das ist eine fragliche, brüchige Behauptung: weil, wie im Falle jedes anderen Subjekts, auch die Person des Malers nach 40 Jahren nicht mehr die ist, die sie war. Es gilt ja doch für jedes Leben die Beobachtung, die Grillparzers Medea an sich selbst macht: „Wenn ich das Märchen meines Lebens mir erzähle, dünkt mir, ein andrer spräch’, ich hörte zu.“ Finden wir und findet der Maler selbst, was durchgängig sich erhalten hat, das glaubhaft Bleibende, demnach als Spur eher in seinen Taten, in seiner Kunst, als in seiner persönlichen Geschichte oder den wechselhaften Umständen seiner Umgebung?

Die frühen Jahre – da haben gerade erst die Absichten sich gebildet, die bestimmend werden für den weiteren Weg. Ein Maler zu sein – in einem längeren publizierten Gespräch hat Prachensky ausgeführt, dass es bis zu dieser Gewissheit eine breit angelegte, vorgezeichnete Bahn war: „Ich war sehr beeinflusst von meinem Elternhaus. Mein Vater war Architekt, hat aber auch gemalt. Ich war also schon früh mit Malerei konfrontiert, habe auch bereits als Kind begonnen, selbst nach der Natur zu zeichnen. Es ist jedenfalls eine kontinuierliche Entwicklung gewesen, die – es war wohl mit sechzehn – zu dem Entschluss geführt hat, Maler werden zu wollen. Ich habe dann Architektur studiert, aber auch während der Zeit dieses Studiums immer gemalt.“¹ Die ersten Schritte führten zu geometrischen Strukturen, von denen er sich ständig befreien wollte, sie sind darum in dieser Ausstellung nicht vertreten.

Die Befreiung ereignete sich dann gegen Ende der 50er Jahre in einem schwierigen Wiener Umfeld, in dem es noch einen von den Kunstideologien der Nationalsozialisten geprägten breiten öffentlichen Widerstand gegen die Moderne generell und die abstrakte Malerei im Besonderen gab. Unterstützung bot der Kontakt zu wenigen Gleichgesinnten, den Malern Rainer, Mikl, Hollegha. Diese Outlaws, Gesetzlosen, als die sie sich sahen, fanden sich später zu der „Gruppe St. Stephan“ zusammen. Der Domprediger Monsignore Otto Mauer fungierte als Anreger, Förderer, Mentor. Auch der Bildhauer Wotruba hielt zu den Jungen. Mit aller Absicht wollte man einen Neuanfang. „Ich war ganz überzeugt davon“, erinnerte sich Prachensky später, „dass ich etwas weiterbringen, weiterbewegen wollte und würde“.

In der Ausstellung sind die Bilder von 1956/57, die den Titel „Rouges différents sur noir“ (Unterschiedliche Rottöne auf Schwarz) tragen, bemerkenswerte Zeugnisse der angestrebten Öffnung neuer Entfaltungsräume für die Differenzierung der Farbwerte wie auch der Modalitäten der gestischen Bewegung, mit der die Abstufungen der Farbe auf den dunklen Bildgründen zur Geltung gebracht werden. Noch sind geometrische Elemente nicht ganz verdrängt, zumal in dem Gemälde von 1956 ist vage ein Raster bemerkbar, an dem sich die Darstellung der unterschiedlich intensiven Rotwerte orientiert.

Solche Halt gebenden Gerüste finden sich in der Folge nicht mehr. Schon zwei Jahre später („Gainfarn“) wird das Rot mit spürbarem Schwung spontan gleichsam hingeschrieben. Wobei sich die Farbe um eine diagonale Achse zu schlingen und zu bündeln scheint. Derartige Strukturen der Ordnung sind auch dann noch nachweisbar, wenn in den Bildern zum Ende der 50er Jahre hin der Duktus des Farbauftrags immer ungestümer, ja wilder wird. Der Widerspruch zwischen Ordnung und Chaos, die einander zugleich bedingen, wird hier früh – der Maler ist Mitte 20 – erkennbar als ein Thema, das in Prachenskys Werk an Bedeutung gewinnen wird.

Wie natürlich die Farbe Rot sich schon in dieser Phase ganz und gar nach vorne drängt. Warum das Rot? „Ich wusste“, erinnert sich der Maler in dem bereits erwähnten Gespräch, „das ist die Farbe, in der ich mich ausdrücken kann. Die Farbe meines Lebens. Ja, das ist es: Schon sehr früh hatte ich die Vorstellung, Rot sei die Farbe meines Lebens.“ Historisch ist festzuhalten, dass Prachensky sich mit der Entscheidung für diese Farbe im internationalen Kontext der Westkunst, gegenüber dem französischen und deutschen Informel wie gegenüber dem amerikanischen Action-Painting, eine besondere Position erarbeitet hat, die er bis heute eigenwillig und eigenständig behauptet.

In den 60er Jahren verändert sich die Tönung der Bildhintergründe: Weiß, auch Grau treten an die Stelle der dunklen Grundierung. Zugleich wird die Geste, die das Rot auf die Flächen bringt, noch stürmischer. So groß ist die Unruhe, dass das Rot kaum mehr unter Aufsicht zu halten ist: Der heftige Pinselschwung lässt die Farbe manchmal in nicht kontrollierbaren Ausbrüchen wegspritzen. Die Arbeiten dieser Periode sind Unternehmungen, die zum kalligraphischen Zeichen tendieren. Im Werk vor allem von Sam Francis, dem großen Maler der amerikanischen Westküste, gibt es zu der Zeit ähnliche Phänomene.

Die Farbe, die sich in Prachenskys Kompositionen aus dieser Phase nur noch mühsam auf größere Felder konzentrieren und verdichten lässt, kommt in den Bildern, die zwischen 1967 und 1970 in Los Angeles entstehen, zu einer erstaunlichen Beruhigung. Das Rot stellt sich nun dar als gebunden an ausgreifende Rundformen von schöner Harmonie. So als wäre jetzt alle Turbulenz wunderbar überführt in Ruhe und Ausgleich. Prachensky hat das Abenteuer eines längeren Aufenthalts am Pazifik bewusst gesucht. Und ein Abenteuer wird es auch, nicht unbedingt eine friedliche Zeit in seinem Leben. Die kalifornischen Bilder aber beschwören das Gegenteil: eine glückliche Balance, die der Lebenslage des Malers in dieser Zeit kaum entsprechen dürfte. Es sind, so jedenfalls lese ich sie, Gegenbilder, erfüllt von einem Verlangen nach dem, was als innere Befriedung seinerzeit so leicht nicht zu haben war.

¹ „Das Glück, ein Maler zu sein“ (Markus Prachensky im Gespräch mit Peter Iden), in: „Markus Prachensky. Rot auf Schwarz – Rot auf Weiß. Bilder“, Katalog zur Ausstellung in den Städtischen Kunstsammlungen Chemnitz, Wien 2004, S. 25-31, hier: S. 26.