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Das Glück, ein Maler zu sein

Peter Iden, 2002

“Man weiß, es geht weiter”. Im Gespräch ein Streifzug durch Werk und Leben des Markus Prachensky

California Revisited, 2001

Einmal hatte er vorgeschlagen, es war eine unruhige Nacht, gemeinsam die Pestsäule am Wiener Graben zu ersteigen. Jene frühen Jahre, Zeiten jäher Lebensgebärden. Der studierte Architekt probierte den Aufstand, befreite sich aus den geometrischen Rastern, welche seine ersten erhaltenen Blätter noch bestimmen. Um Befreiung ist es dann immer gegangen, um den Widerspruch zwischen dem System einer bildnerischen Ordnung und dem spontanen Gestus, der sie aufsprengt. Rot wurde die Farbe, in der das Drama sich aussprach, er nennt sie: seine Lebensfarbe. Im Theater am Fleischmarkt in Wien 1959 und ein Jahr später im Stadttheater von Aschaffenburg schüttete er sie kübelweise aus über eine aufgestellte Leinwand, die gleich nachher vernichtet wurde: Nur der Akt der impulsiven Freisetzung des ausströmenden Rot war gewollt, der Vorgang war die Sache selber.

Später entstanden die Zyklen der Bilder, die die Namen von Landschaften tragen und doch zum Genre der Landschaftsmalerei gerade nicht gehören: vielmehr aus der Realität der Weltgegenden, auf die sie sich namentlich beziehen, den Anspruch ableiten auf eine eigene, der draußen wahrgenommenen an Intensität nicht nachstehende Wirklichkeit. Der Vorsatz, Welt selber zu schaffen mit Bildern, die autonom sind, hat sich erfüllt in den umbrischen, den etrurischen, den sardinischen Suiten wie in den Zyklen, zu denen der Maler inspiriert wurde in Bali und, zweimal, in Kalifornien. “California revisited” – das ist nun die jüngste Phase eines Oeuvres, das seinesgleichen sucht: Wunderbar die neuen Farbwerte darin, auf nachtschwarzem Grund das sehnsüchtige Blau und das leuchtend-fordernde Grün.

In der richtigen Welt draußen und vor der um keinen Deut weniger wahren Wirklichkeit seiner Bilder haben wir, über viele Jahre hin, immer wieder miteinander verhandelt: Darüber was zu tun wäre im Leben und was er zu tun gedachte in der Malerei. Mehr Welt war – und ist – nie als in seinem Atelier. In Bewegung ist alles und der Konflikt der Kräfte und Gegensätze immerwährend.

Langer Weg durch die Zeit. In dem Jahrzehnt nach dem Krieg zuerst der Widerstand der Ignoranten und Muffel in Wien wie in Deutschland. Allmählich aber haben die Leute dann doch zu sehen gelernt – und haben Augen gemacht. Und verstanden, dass sie in den Bildern vor sich haben, worauf sie selber nicht verzichten dürfen (obschon so viele es können): Emphatische Zeichen des Lebens, Aufrufe; angesichts des Endes, das immer ist.

Der Weg hat den Maler oft weit hinausgeführt, fort von Wien – der Garten schuhloser Tänze im kalifornischen Valley war längst nicht der entfernteste Ort – aber er ist zurückgekommen mal für mal. Und ist in Wien nun angelangt im Oberen Belvedere. Es war nicht abzusehen, dass zur dieser Zeit die Pestsäule bestiegen werden sollte. Aber eigentlich habe ich niemals daran gezweifelt. P.I.

Peter Iden: Es wird einen Augenblick gegeben haben, in dem auf einmal die Gewissheit unumstösslich gewesen ist, Bilder malen zu müssen, ein Maler sein zu wollen . . .
Markus Prachensky: Es war bis zu dieser Gewissheit ein breit angelegter, vorgezeichneter Weg. Ich war sehr beeinflusst von meinem Elternhaus. Mein Vater war Architekt, hat aber auch gemalt. Ich war also schon früh mit Malerei konfrontiert, habe auch bereits als Kind begonnen, selbst nach der Natur zu zeichnen. Es ist jedenfalls eine kontinuierliche Entwicklung gewesen, die – es war wohl mit sechzehn – zu dem Entschluss geführt hat, Maler werden zu wollen. Ich habe dann Architektur studiert, aber auch während der Zeit dieses Studiums immer gemalt. Mich haben damals geometrische Strukturen beschäftigt, in der Ausstellung jetzt sind einige Blätter zu sehen, die das zeigen. Ich wusste allerdings, dass ich mich von dieser strengen Formensprache würde befreien müssen. Nun war diese Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sehr schwierig: Es gab kaum Informationen, man hatte wenig Kenntnis von dem, was künstlerisch vor sich ging. In der elterlichen Bibliothek fand ich Bände zur Kunst der Romanik, der Gotik, der Renaissance, damit wurde ich vertraut. Durch die verfluchte Nazi-Zeit war man jedoch abgeschnitten von der Gegenwart der Kunst. Nachrichten darüber kamen erst allmählich, vor allem aus Paris, auch aus Amerika. Das waren Beispiele für eine gemäßigte Avantgarde, es war klar, dass man weitergehen müsste. Aber man fand sich doch gleichsam auf die richtige Schiene gesetzt. Das reichte schon, um in der Akademie, mit ein paar Gleichgesinnten, einigermaßen in Verruf zu geraten. Die Akademie verstand sich ja nicht gerade als Experimentier-Kasten, eher im Gegenteil. Hollegha, Mikl, Rainer und ich – wir galten mit unseren Vorstellungen als Out-laws, Gesetzlose. Später haben wir uns dann zu der “Gruppe St. Stephan” zusammengetan. Monsignore Otto Mauer fungierte als eine Art von Anreger, Förderer, Mentor. Er war ein Kirchenmann, Domprediger von St. Stephan, die Galerie gleichen Namens hatte aber mit der Kirche nichts zu tun, sonst wäre das auch nicht auszuhalten gewesen. Mauer wurde angefeindet wegen seiner Freundschaft mit uns.

P.I.: Waren diese Anfänge nicht auf ganz besondere Weise stimuliert durch den Widerspruch zwischen einem seinerzeit doch ausgesprägt konservativen, nicht zu sagen: reaktionären Kulturklima in Wien und andererseits der Wiener Tradition des Aufbruchs und der Moderne wie sie sich zu Beginn des vorigen Jahrhunderts in der Literatur, der Musik, der Architektur und der bildenden Kunst manifestierte?

Markus Prachensky: Wir haben mit aller Absicht und allen Kräften einen Neuanfang gewollt. Dafür hatten wir tatsächlich auch das nötige Selbstbewusstsein. Ich war ganz überzeugt davon, dass ich etwas weiterbringen, weiterbewegen wollte und würde. Wir setzten uns, wie in Wien vor allem auch der Bildhauer Wotruba, der auf unserer Seite war, entschieden ab von denjenigen, die die Nazi-Jahre überdauert hatten und sich nach wie vor als Künstler betätigten, Professuren an der Akademie innehatten und noch immer in Ansehen standen. Diese Leute haben wir verachtet.

P.I.: Die ersten Arbeiten waren noch bestimmt von geometrischen Rastern, der Umgang mit Architektur, auch mit Entwürfen der Städteplanung fand darin seinen Niederschlag. Dann aber begann ein gestisches Element sich durchzusetzen – sehr nachhaltig: Es behauptet sich ja bis heute. Und es wurde, nicht weniger wichtig und ebenso nachwirkend bis heute wie der Gestus des Farbauftrags, die Farbe Rot zum vorherrschenden Ton der Bilder. Warum Rot?

Markus Prachensky: Ich wollte aus dem Raster des Geometrischen, in dem ich gefangen war, unbedingt heraus, wollte ausbrechen. Fast ein Jahr lang habe ich nur gezeichnet und dabei versucht, einen Gestus der Hand, man kann sagen: eine Hand-Schrift zu entwickeln, durch die ich frei werden, Freiheit gewinnen wollte. Nun hatte mich Rot immer schon fasziniert, ich wusste: Das ist die Farbe, in der ich mich ausdrücken kann. Die Farbe meines Lebens. Ja, das ist es: Schon sehr früh hatte ich die Vorstellung, Rot sei die Farbe meines Lebens.

P.I.: Es ist dann so gekommen, dass Wien nicht mehr der einzige Ort der Entfaltung wurde. Nach zunächst einer Ausstellung in Hamburg wurde das süddeutsche Aschaffenburg 1960 der Schauplatz eines Ereignisses von inzwischen kunsthistorischer Bedeutung. “Peinture liquide” hieß die Aktion, die im dortigen Stadttheater nach einem Vorlauf in Wien (im Theater am Fleischmarkt) einige Monate zuvor,für Aufregung sorgte. . .

Markus Prachensky: Innerhalb einer gewissen Zeit sollten soundsoviel Liter rote Farbe von oben auf eine schräggestellte Leinwand geschüttet werden und daran herunterlaufen. So etwas war niemals zuvor gemacht worden. Später hat ein gewisser österreichischer Maler das wiederholt. Der Unterschied ist der, dass ich die große Leinwand mit den Farbspuren nach der Aktion sofort vernichtet habe, während jener andere Maler seine ähnlich behandelten Leinwände heute noch als Bilder anbietet. Mir ging es einzig um den Akt selber, der übrigens in Aschaffenburg von elektronischer Musik unterlegt war: Für eine befristete Zeit, der Vorgang dauerte nich mehr als eine halbe Stunde, sollte die Farbe sich in ihrem kaum noch kontrollierten Lauf über die zu Anfang ganz weiße Leinwand so vollständig wie möglich befreien von allen Auflagen. Die Resonanz in Deutschland war ein enormer Skandal, der Sinn der Aktion, eben die totale Freisetzung der Farbe, wollte einfach nicht in die verschlafenen Köpfe.

P.I.: In Erinnerung geblieben ist dem Augenzeugen vor allem die Radikalität des Vorhabens. . .

Markus Prachensky: Dieser Radikalität war ich mir durchaus bewusst. Aber auch der Qualtiät sowohl des gedanklichen Ansatzes als auch der praktischen Durchführung. Das Ganze war wie ein starkes Manifest. Ich muss aber betonen: Mit meiner Malerei selbst hatte das nichts zu tun.

P.I.: Diese Malerei hat sich in der Folge fortgeschrieben, die Ergebnisse einzelner Werkphasen fügten sich zu Serien, Bilder-Suiten, die jeweils angeregt, sagen wir: inspiriert waren von Landschaften. Die Serien sind bezeichnet durch die Namen von Gegenden, die der Maler bereist hat, in denen er sich aufgehalten hat, meist mehrmals: Apulien, Etrurien, Umbrien, Sardinien, Korsika, Bali. Kalifornien war gegen Ende der sechziger Jahre ein Thema, und ist es jetzt, im jüngsten Zyklus des Werks, “California revisited”, abermals. Die Landschaften haben die ihnen zugeordneten Bilder stimuliert – ohne dass allerdings je die Abbildung, das Porträt einer Landschaft intendiert worden wäre. Welches ist die Beziehung zwischen der sinnlichen Wahrnehmung eines Landstrichs und der Erscheinung des Bildes?

Markus Prachensky: Man nimmt etwas auf von der Welt, das hat man dann in sich. Was ich daraus mache, ist aber nicht eine Reproduktion des Wahrgenommenen, sondern wird neu geschaffen. Es ist so eigenständig wie das, was ich als Realität einer Landschaft erlebt habe. Ich muss also mit jedem Bild über das Gesehene hinaus, das neue Bild muss eine Intensität gewinnen, die derjenigen der erfahrenen Wirklichkeit entspricht, es muss ebenso neu und sogar stärker wirken als der Weltausschnitt, der dem Bild den Anstoß liefert.

P.I.: Die Malerei ist also, obschon hoch übersetzt, Reaktion auf Welt. Entscheidend ist aber, dass sie selber ein Stück Welt schafft, die eigengesetzliche Welt des Bildes. Der Autonomie-Begriff, der sich darin behauptet, gilt auf der gegenwärtigen Kunstszene als strittig. Zunehmend wird die Kunst instrumentalisiert, eingesetzt etwa als Mittel der Ideologie-und Sozialkritik oder inszeniert zum Ereignis, zum event. Gibt es das Gefühl, mit der eigenen Vorstellung von der Eigenständigkeit des gemalten Bildes inzwischen eine Position einzunehmen, die einsam macht?

Markus Prachensky: Ich bin heute, wenn ich male, nicht einsamer als ich immer war. Ich habe keinen Zweifel daran, dass meine Arbeit etwas hervorbringt, das existiert, das Recht auf eine Existenz in Anspruch nimmt, die von keiner Kunstphilosophie, wie das neuerdings gelegentlich versucht wird, geleugnet werden kann. Das ist mein Stolz. Ob das von außen beurteilt wird als anachronistisch oder progressiv, ist mir gleichgültig.

P.I.: Mag auch die Autonomie der künstlerischen Setzung von der Theorie und von einigen Künstlern selbst in Zweifel gezogen werden, so ist andererseits doch auffällig, in welch hohem Maß den Heroen der frühen Jahre, nach der großen Skepsis, mit der ihnen das Publikum und die Kritik zu Zeiten ihrer Anfänge begegnet waren, jetzt öffentliche Anerkennung zuteil wird. Das gilt auch für Markus Prachensky, es lässt sich sagen: Sein Werk hat sich durchgesetzt. Noch immer ist es ja durchaus ungewöhnlich, dass Wien einen lebenden Künstler, wie jetzt ihn, mit einer umfänglichen Retrospektive ehrt. Hat sich durch solche Anerkennung das Selbstverständnis des Malers verändert?

Markus Prachensky: Ich habe nicht das Gefühl, ein anderer Mensch geworden zu sein. Oder dass ich etwa anders an meine Arbeit heranginge als ich sie früher, ohne dass solche Ehrungen zu erwarten gewesen wären, auf mich genommen hatte. Jeder hofft, dass er in seiner Arbeit nicht schlechter wird, sondern sich im Lauf seines Lebens steigern kann. Das hoffe ich auch von mir.

P.I. Welche Rolle spielt die Erfahrung?

Markus Prachensky: Es gibt natürlich ein technisches Wissen, das von Stufe zu Stufe tiefer wird. Welches Format welchem Bildinhalt angemessen ist, welche Proportionen für das Verhältnis der Farben zu wählen sind, welche Ansätze weitergeführt und welche verworfen werden müssen – in Hinsicht auf solche Fragen ist Erfahrung viel wert. Das Entscheidende an einem Bild aber muss immer wieder erkämpft werden, jedesmal neu.

P.I.: Von den Bildern, sogar schon von den frühen, geometrisch angelegten, geht der Eindruck einer emphatischen Beteiligung des Malers am Prozess der Entstehung aus, sie enthalten einen emotionalen Appell, vorgetragen mit großer Nachdrücklichkeit. Ist der Maler, um diese Wirkung entstehen zu lassen, abhängig von einer bestimmten, abrufbaren emotionalen Disposition?

Markus Prachensky: In meiner Selbst-Erfahrung bin ich als Maler, von Anfang an, ein vor allem emotional geleitetes Wesen. Das gehört zu mir, das bin ich. Ohne das wäre ich niemals Maler geworden. Allerdings gehört zu mir auch eine Rationalität. Unerlässlich als Mittel der Kontrolle, der Steuerung der Affekte, und nicht zuletzt der Organisation der Arbeitsprozesse. Meine Arbeit verläuft so: Nach Beendigung einer Serie, meist im August, begebe ich mich auf Reisen. Ich versuche, neue Eindrücke zu sammeln. Es folgen dann Wochen, in denen kleinere Skizzen entstehen, damit beginne ich, zu fokussieren und auch schon in Bildideen zu fixieren, was in mich eingedrungen ist. Im nächsten Schritt folgen Ausführungen dieser Ideen in Arbeiten auf Papier, es ist dann Februar/März. Nun weiß ich, was zu tun ist. Dann erst kommt es zu Bildern auf Leinwand. Das zieht sich hin bis wieder in den Sommer.

P.I.: Über all die Jahre ist in den Bildern ein durchgängiges Thema zu beobachten: der Gegensatz zwischen Ordnung und Chaos, zwischen Zwang und Ausbruch, Disziplin und Freiheit. Es scheint, als sollte die Farbe durch den Pinselzug gebannt werden, als sei ihr eine Ordnung, ein System vorgedacht – dann aber, das sind dramatische Vorgänge, spritzt die Farbe weg, bricht aus, löst sich von jeder Vorgabe. Es ist, als habe sie ein Eigenleben. Welches ist das Verhältnis zu diesem lebenslangen Partner: der Farbe?

Markus Prachensky: Die Eigenmächtigkeit der Farbe und das Zufällige am Ergebnis der Ausbrüche bleiben immer unter meiner Aufsicht. Was in der Wirkung für mich nicht “stimmt”, wird sofort gelöscht, ich habe sehr viel Ausschuss, Ansätze, die ich nicht gelten lasse. Was immer die Farbe als ihr Eigenes birgt und entäußert, muss zusammengehen mit meiner Hand. So binde ich die Farbe nicht mehr, wie noch Cézanne (so sehr auch er schon ihre Befreiung wollte) an die Aufgabe der Abbildung etwa einer Landschaft, sondern an mich. Das ist das Reglement. In der Tube ist die Farbe tot. Wenn ich sie anmische, kann sie zu Leben kommen, auf der Leinwand geschieht das dann wirklich – jetzt ist sie mein einziger Partner.

P.I.: Bilder haben auch etwas zu tun mit Zeit. Indem sie ein Flüchtiges bewahren, sind sie Antwort auf Vergänglichkeit. . .

Markus Prachensky: Ja. Jedes Bild ist eine vorweggenommene Antwort auf den Tod. Man hat dafür eine Zeit; dann läuft die Zeit ab. Was bleibt, ist ein bewusst gesetztes Zeichen des Lebens, Lebenszeichen.

P.I.: “California revisited”, so der Titel des jüngsten Zyklus, Rückkehr noch einmal nach Kalifornien, das einst auch der Ort einer kritischen Periode der Biographie war – artikuliert sich darin so etwas wie ein Alterswerk?

Markus Prachensky: Ich hoffe nicht. Wenn ich male, fühle ich mich so lebendig wie eh und je. Noch immer spüre ich, dass sich wieder etwas anbahnt. Das ist ein wunderbares Gefühl. Beglückend. Man weiß, es geht weiter.
Wien / Frankfurt a.M., Februar 2002

Peter Iden, 2002