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Es geht um Schrift …

Klaus A. Schröder, 2010

Es geht um Schrift. Um Kalligraphie. Die Bilder wollen gelesen werden. Das Unentzifferbare der Zeichen will verstanden werden.

Rythmes des Calanques, 2009

Nein. Es geht um gefühlte Gestik. Um Spontaneität. Es geht um Kraft und Energie, nicht Überlegung und Kalkül.

Nein. Es geht um Architektur. Also um Konstruktion. Um Statik und unverrückbare Festigkeit. Um Harmonie der Teile. Um Propositionen.

Es geht um all dies und doch um ganz anderes. Prachenskys Bilder handeln vom Drama der Existenz. Von ihrer Tragik. Auch von der Komödie. Denn das Leben ist heiter und ernst zugleich, komisch und doch immer blutig. Bis zum Letzten. Daher das Rot.

Prachenskys Bilder versteht nur, wer bereit ist, sie als einen Prozess zu verstehen. Man muss empfinden, was sich in ihnen zuträgt. Ansonsten versäumt man das Beste und freut sich nur daran, wie Farbbahnen und Kraftströme mit- und gegeneinander kämpfen, sich in Balance halten, Gleichgewichte stören und wieder herstellen. Aber Prachenskys Malerei ist nicht l´Art pour l´Art; sie ist nicht ein Spiel mit Formen, und seien sie auch noch so dynamisch auf die Leinwand gesetzt, dass sie an den Knotenpunkten zerbersten.

Prachenskys Bildtitel führen ins Zentrum seiner Kunst – und in die Irre zugleich. Sie verweisen auf den Maler als ewigen Wanderer. Aber das Reisen hat weniger mit jenen äußeren Orten zu tun, die die Visionen durch ihre Gestalt anregen. Reisen ist als Metapher für das Leben schlechthin zu verstehen.

Die Heftigkeit, mit der Prachensky malt, steht in einem diametralen Gegensatz zur Ruhe, die der Künstler ausstrahlt. Der Maler Prachensky ist cholerischer als der Humanist Prachensky zu sein scheint: obgleich die Möglichkeit des unkontrollierten Aufbrausens in seinem engagierten Reden über Kunst, in seinen leidenschaftlichen Abneigungen und Idiosynkrasien durchaus zu ahnen ist. Das ihm eigene starke Temperament wächst Prachenskys Bildern als Qualität zu. Die heftige Geste ergreift vom stürmischen Rot Besitz und bringt es zum Klingen: abstrakt und lebensnah zugleich. So wie die großen Symphonien Beethovens nichts illustrieren, aber den Kampf des Lebens suggestiver abbilden als jede Programmmusik. Prachensky ist der Beethoven unserer Zeit, der in seinen Bildern das Innerste nach außen kehrt, seine zutiefst subjektiven Erfahrungen in der Kunst objektiviert und zu unseren macht.

Biografisch mag man für seine Malerei Wurzeln im Beruf seines Vaters, einem malenden Architekten, ausmachen. Auch der Sohn sollte Architektur studieren und schon früh die Konstruktionsgesetze antiken Bauens bewundern. Dessen Raffiniertestes ist wohl die Entasis, jene leichte Krümmung in der griechischen Säule, die dem tragenden Bauelement eine einzigartige Spannung verleiht. Prachenskys Entasis ist die Spannung, die er in jene steilen Diagonalen legt. Sie vermitteln zwischen den Bögen und Horizontalen auf der einen Seite und den breit aufliegenden vertikalen Lasten auf der anderen.

Das Spätwerk von Markus Prachensky, sein jüngstes und reifstes Schaffen zugleich, vereint die erhabene Architektur der Schrift mit dem Pathos der bis zum Siedepunkt erhitzten Farbtemperatur: monumentaler als hier wurde nie gemalt. Es ist diese Monumentalität, die Prachenskys Naturerlebnis widerspiegelt und dieses intensive Erlebnis – gleich einer Transsubstantiation – vergeistigt: zum Symbol des gelebten Lebens.